Bonn - Deutschlands oberste Finanzaufseherin fordert Lehren aus der
europäischen Rettungsaktion in Zypern. "Wir brauchen dringend ein
einheitliches Abwicklungssystem - in den einzelnen Ländern, aber auch
auf europäischer Ebene", sagt BaFin-Chefin Elke König im Interview mit
SPIEGEL ONLINE. "Unser Ziel muss es sein, dass wir auch größere
Institute sinnvoll abwickeln können, wenn sie in Schieflage geraten."
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Anders
als in Zypern
will König die Sparer bei einer Bankabwicklung aber so weit wie möglich
schonen. Zunächst müssten deshalb die Aktionäre einer Bank haften, dann
die Anleihengläubiger, sagt die oberste Aufseherin. "Die Spareinlagen
müssen geschützt werden - auch wenn man darüber diskutieren kann, ob das
nur bis zu einer bestimmten Höhe gelten sollte."
In der Affäre
um Geschäfte in Steueroasen
droht die BaFin-Chefin den heimischen Banken mit Konsequenzen. Wenn die
Behörde Anhaltspunkte habe, "dass ein Institut systematisch gegen
Steuerrecht verstößt oder dabei hilft, werden wir dies bankaufsichtlich
untersuchen", sagt König. "Die Banken tragen da eine besondere
Verantwortung."
Angesprochen fühlen könnte sich womöglich die Deutsche Bank
. Ihr Name taucht unter anderen in
den Berichten über Geschäfte in Steueroasen auf.
Laut Recherchen von "Süddeutscher Zeitung" und NDR soll das Institut
über seine Filiale in Singapur mehr als 300 Treuhandfonds und
Briefkastenfirmen gegründet haben. Ein Banksprecher sagte auf Anfrage,
man biete "Dienstleistungen für vermögende Kunden auf der Grundlage an,
dass die Kunden ihre Steuerangelegenheiten vollumfänglich regeln und
dabei alle Steuergesetze und Meldeverpflichtungen befolgen".
Im Umgang mit Bankberatern rät Deutschlands oberste Aufseherin den
Verbrauchern zur Vorsicht: "Grundsätzlich muss sich der Kunde aber
darüber im Klaren sein, dass der Berater etwas verkaufen will", sagt
König. "Wenn ein Autoverkäufer Ihnen ein Fahrzeug verkaufen will, an dem
er mehr verdient, wundern Sie sich ja auch nicht."
Lesen Sie im ausführlichen Interview, warum BaFin-Chefin König nicht
viel von der geplanten Deckelung für Bonuszahlungen hält - und wie sie
selbst von den Enthüllungen in der Libor-Affäre um manipulierte
Zinssätze überrascht wurde.
SPIEGEL ONLINE: Der Fall Zypern hat Bankkunden in ganz Europa
verunsichert. Zum ersten Mal seit Beginn der Finanzkrise müssen dort
Sparer mit ihren Guthaben für marode Banken haften. Wird das jetzt zum
Normalfall?
König: Man kann das nicht auf ganz Europa übertragen. In Zypern
gibt es einen sehr großen Bankensektor mit einem einseitigen
Geschäftsmodell: Man hat große Sparguthaben angezogen und dieses Geld
dann angelegt. So ist ein sehr fragiles System entstanden. Trotzdem muss
man Lehren aus dem Fall Zypern ziehen.
SPIEGEL ONLINE: Welche?
König: Wir brauchen dringend ein einheitliches Abwicklungssystem -
in den einzelnen Ländern, aber auch auf europäischer Ebene. Unser Ziel
muss es sein, marode Banken nach marktwirtschaftlichen Regeln
abzuwickeln. Das heißt: Wer die Gewinne erhält, muss auch das Risiko
tragen. Deshalb haftet zunächst das Eigenkapital, also die Aktionäre.
Dann kommt das Fremdkapital, also diejenigen, die in Anleihen der Bank
investiert haben. Und dann ist normalerweise das Ende erreicht. Die
Spareinlagen müssen geschützt werden - auch wenn man darüber diskutieren
kann, ob das nur bis zu einer bestimmten Höhe gelten sollte.
SPIEGEL ONLINE: In Deutschland wurde lange darauf gesetzt, Banken
mit Steuergeld zu retten. Mehr als 250 Milliarden Euro wurden dafür
bereitgestellt, allein die Verluste des Rettungsfonds Soffin belaufen
sich auf 23 Milliarden Euro. Würde man sich in Deutschland mittlerweile
trauen, eine Bank pleitegehen zu lassen und abzuwickeln?
König: Das tun wir jedes Jahr - allerdings sind es meist kleinere
Banken. Unser Ziel muss es sein, dass wir auch größere Institute
sinnvoll abwickeln können, wenn sie in Schieflage geraten. Es kann ja
nicht sein, dass wir dauerhaft in einem System leben, in dem der
Zusammenhang zwischen Ertrag und Risiko nicht für alle Banken gilt. Nach
dem Motto: Wenn es gutgeht, profitieren die Eigentümer und Gläubiger,
und wenn es schiefgeht, zahlt der Steuerzahler.
SPIEGEL ONLINE: Sechs Jahre nach Beginn der Finanzkrise ist das
Bankensystem immer noch krisenanfällig. Für viele Bürger scheint es, als
habe sich nichts verbessert. Wieso kommen die Reformen so langsam
voran?
König: Doch, es ist eine Menge geschehen. In Deutschland ist das
System aus meiner Sicht sicherer geworden. Auch international werden die
Banken mittlerweile besser überwacht. Aber viele Maßnahmen können eben
nur langfristig wirken, zum Beispiel die Erhöhung der
Eigenkapitalanforderungen. Die Krise ist auch deshalb so schwierig zu
bekämpfen, weil sie sich in einer Art Spirale bewegt: Es begann mit
einer Bankenkrise, ausgelöst durch zu viel billiges Geld. Die Rettung
der Banken trug dann zur Entstehung der Staatsschuldenkrise bei - und
die verursachte wiederum eine Bankenkrise.
SPIEGEL ONLINE: Gerade bei diesem Kernproblem, der zu engen
Verknüpfung zwischen Staaten und Banken, gibt es aber überhaupt keine
Fortschritte.
König: Das stimmt nur teilweise. Wir sind auf dem Weg zu einer
Bankenunion. Wir werden ab dem kommenden Jahr eine gemeinsame
europäische Bankenaufsicht haben. Das wäre für Deutschland nicht
unbedingt nötig gewesen. Aus europäischer Perspektive ist es aber
richtig.
SPIEGEL ONLINE: Reicht eine gemeinsame Aufsicht aus?
König: Nein, die reicht natürlich nicht. Zu einer Bankenunion
gehören darum auch gemeinsame Restrukturierungsregeln und Fonds, um
Banken im Ernstfall abwickeln zu können. Wir haben dies in Deutschland
mit dem Bankenrestrukturierungsgesetz schon geschaffen. Ob es nationale
Fonds sein werden oder ein großer europäischer Topf, das ist letztlich
eine politische Entscheidung.
SPIEGEL ONLINE: Der Fall Zypern hat doch gerade eindrucksvoll
gezeigt, dass nationale Fonds nicht funktionieren können. Kein
zyprischer Fonds hätte die zyprischen Banken auffangen können.
König: Stimmt. Das hätte Zypern überfordert. Deswegen ist es auch
gut und hilfreich, dass wir jetzt in Europa dauerhafte
Krisenmechanismen bereithalten, die dann im Rahmen von Programmen einem
Mitgliedstaat beispringen können. Eines ist aber sicher: Die unheilvolle
Verbindung zwischen Staaten und Banken lässt sich nicht gänzlich
aufheben. Ein europäischer Fonds würde das Problem nur eine Ebene höher
schieben.
SPIEGEL ONLINE: Die Bankenbranche ist heute mehr denn je vom
Staat abhängig - und trotzdem fließen dort so hohe Bonuszahlungen wie in
keinem anderen Sektor. Warum eigentlich?
König: Die Gehälter in Industrie und Finanzsektor haben sich
früher ähnlich entwickelt. Doch irgendwann haben sich die Banken
entkoppelt - ohne logischen Grund. Wenn Sie in der Forschungsabteilung
eines Chemieunternehmens arbeiten und eine tolle Idee haben, dann
bekommt das Unternehmen ein neues Patent und Sie werden bei der
Weihnachtsfeier hoffentlich lobend erwähnt. Vielleicht wird es sich auch
bei Ihrer Bezahlung bemerkbar machen, mehr aber auch nicht. In einem
kleinen Teil der Bankenbranche kam dagegen irgendwann die Idee auf, dass
derjenige, der einen Deal eingefädelt hat, am Erfolg des Geschäfts
beteiligt werden muss.
SPIEGEL ONLINE: Ist das nicht auch in Ordnung?
König: Für Unternehmer ist das in Ordnung, denn sie haften ja
auch für den Misserfolg. Aber als Angestellter einer Aktiengesellschaft
ist das eben nicht der Fall. Dort haften andere.
SPIEGEL ONLINE: Die EU will die Banken zwingen, die Boni auf das
Doppelte des Festgehalts zu begrenzen. Reicht das, um künftige Exzesse
zu vermeiden?
König: Das ist eine politische Forderung, die im aktuellen Umfeld
nachvollziehbar ist. Sie löst aber nicht das eigentliche Problem. Wenn
die variable Vergütung begrenzt wird, fürchte ich, steigt die feste
Vergütung, um die gewünschte Gesamtsumme zu erreichen.
SPIEGEL ONLINE: Was ist das eigentliche Problem?
König: Es geht darum, wie die Vergütung gestaltet ist. Sie darf
nicht nur kurzfristige Anreize setzen, sondern muss vorrangig
langfristige Komponenten enthalten - auch die Möglichkeit, das Geld in
bestimmten Fällen nicht auszuzahlen. In Deutschland haben wir dazu schon
Mindestanforderungen. Das ist entscheidender als die Frage, wo man die
Zahlungen deckelt.
SPIEGEL ONLINE: Einer aktuellen Umfrage zufolge vertrauen nur
noch 29 Prozent der Bürger in Deutschland den Banken - auch ein Ergebnis
der Finanzkrise. Ist die Branche selbst schuld?
König: Die Banken sind sicherlich mit daran schuld. Aber zu einem
großen Teil ist das Misstrauen auch ungerechtfertigt. Wenn ein Bürger
auf die Banker schimpft, meint er wahrscheinlich nicht den Mitarbeiter,
der ihn in seiner Filiale betreut.
SPIEGEL ONLINE: Naja, gerade bei der Beratung in den Filialen
hapert es ja. Wer zum Bankberater geht, muss damit rechnen, dass der vor
allem seine eigene Provision im Kopf hat und nicht das Wohl des Kunden.
König: Darum ist es auch Aufgabe der Banken, die Anreize für den
Vertrieb vernünftig zu gestalten. Grundsätzlich muss sich der Kunde aber
darüber im Klaren sein, dass der Berater etwas verkaufen will. Wenn ein
Autoverkäufer Ihnen ein Fahrzeug verkaufen will, an dem er mehr
verdient, wundern Sie sich ja auch nicht.
SPIEGEL ONLINE: Vom Bankberater erwartet man schon etwas anderes als von einem Autoverkäufer. Schließlich nennt er sich Berater.
König: Deshalb achten wir auch darauf, dass die Transparenz
verbessert wird. Ich halte nichts davon, bestimmte Produkte zu
verbieten. Diese Entscheidung sollte man dem Markt überlassen. Wir
müssen aber dafür sorgen, dass die Kunden wissen, was sie kaufen - und
der Bankberater muss ihnen auch sagen, ob es zu ihnen passt. Einem
Achtzigjährigen noch strukturierte Produkte zu verkaufen, das passt in
der Regel nicht.
SPIEGEL ONLINE: Der Skandal um manipulierte Zinssätze hat das
Vertrauen vieler Menschen weiter erschüttert. Wie kann es sein, dass so
viele Banken so lange wichtige Zinssätze manipulieren konnten, auf denen
Tausende von Finanzprodukten basieren?
König: Ich selbst habe in meiner früheren Tätigkeit auch Verträge
unterschrieben, bei denen als vereinbarter Zins Libor plus X angegeben
war. Und ich habe nicht gefragt, wie der Libor berechnet wird. Heute
frage ich mich natürlich auch: Wie kann man ein System darauf bauen,
dass einige Banken Werte melden, die gar nicht auf tatsächlichen
Geschäften beruhen, sondern auf Schätzungen? Das muss sich ändern. Wir
müssen diese Referenzzinssätze kurzfristig stabiler berechnen und
mittelfristig ablösen. Die Manipulationen sind noch mal ein gesondertes
Thema.
SPIEGEL ONLINE: Aber ein besonders ärgerliches.
König: Es gab eine Gruppe von Händlern, die offensichtlich mit
sehr wenig Skrupeln den Zins dahin bewegen wollte, wo sie ihn brauchte.
Da ist die Ethik völlig abhandengekommen. Das kam mir ein wenig so vor
wie Halbstarke untereinander.
SPIEGEL ONLINE: Auch die Deutsche Bank ist in den Skandal verwickelt. Ihre Behörde hat
deshalb eine Sonderprüfung eingeleitet. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
König: Wir werden den Prüfungsbericht wie üblich auswerten. Dass
es in der Vergangenheit bei zahlreichen Instituten organisatorische
Mängel gab, ist sicherlich unbestritten. Aber welche Maßnahmen wir von
welchem Institut verlangen werden, machen wir grundsätzlich nicht
öffentlich.
SPIEGEL ONLINE: Bisher hat die Deutsche Bank nur einzelne Händler
entlassen. Vielen Insidern scheint jedoch nur schwer vorstellbar, dass
deren Vorgesetzte nichts davon gewusst haben, allen
voran der ehemalige Chef des Investmentbankings, Anshu Jain. Fordern Sie in Ihrem Bericht personelle Konsequenzen?
König: Zu einzelnen Instituten kann ich nichts sagen. Aber wir
prüfen natürlich immer auch die Verantwortung der Geschäftsleitung. Und
wir verfügen über ein breites Instrumentarium - von einem
missbilligenden Schreiben über eine Verwarnung bis hin zu einer
Abberufung. Das setzt aber immer voraus, dass eine persönliche
Verantwortung des jeweiligen Geschäftsleiters besteht.
SPIEGEL ONLINE: Ein internationales Journalistennetzwerk hat
gerade das Ausmaß der Steuerhinterziehung in Offshore-Zentren
aufgedeckt. Die Banken sollen kräftig geholfen haben, das Geld vor dem
Fiskus zu verstecken - auch die Deutsche Bank. Wie lassen sich solche
Geschäfte künftig verhindern?
König: Das Problem lässt sich aus meiner Sicht nur auf
internationaler politischer Ebene lösen. Grundsätzlich ist es nicht
Aufgabe der BaFin, die Einhaltung des Steuerrechts zu überwachen. Wenn
wir aber Anhaltspunkte haben, dass ein Institut systematisch gegen
Steuerrecht verstößt oder dabei hilft, werden wir dies bankaufsichtlich
untersuchen. Die Banken tragen da eine besondere Verantwortung.