Steuererhöhungen
Das Geld wird gebraucht!
Von Carsten Sieling(fr-online)
Steuererhöhungen schaffen Gestaltungsräume für die Politik und sorgen
für mehr Gerechtigkeit, argumentiert Carsten Sieling. Foto: dpa
Wieder einmal rauscht es im deutschen Blätterwald zur
Gretchenfrage: Wie hältst du es mit den Steuererhöhungen? Und wieder
einmal sitzen sie alle auf ihren Bäumen, die Seehofers, Gröhes und
Schäubles, und trompeten: Mit uns keine Steuererhöhungen. Niemals!
Es ist an der Zeit, die Steuerdiskussion – abseits aller Ideologie – vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Steuererhöhungen sind kein Selbstzweck. Sie orientieren sich an den Realitäten. Sie schaffen Gestaltungsspielraum für das Notwendige. Kurz: Sie ermöglichen Politik. Mit Investitionen in Bildung und Infrastruktur, mit der Stärkung der Länder und Kommunen und einer nachhaltigen Lösung für die Altschulden. Und sie sind – wie schon ein Blick in den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt – ein Beitrag zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit in unserem Land.
Fragt man die Menschen auf der Straße, die Gewerkschafter, die Vorstände in den Chefetagen und die Forscher in der Wissenschaft, so sind sich alle einig: Die Investitionslücke in Deutschland ist riesig. Manche sprechen von 100 Milliarden Euro, die fehlen: jährlich!
Das ist die Realität: Deutschland lebt unter seinen Verhältnissen, schnallt den Gürtel so eng, dass kaum noch Luft zum Atmen bleibt, und kürzt sich künstlich arm – um Investitionen, Angestellte im öffentlichen Dienst und Löhne. Die öffentlichen Investitionen in Deutschland sind in den letzten Jahren zurückgegangen. Anfang der 70er Jahre lag ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt noch bei gut 4,5 Prozent, mittlerweile ist er auf unter zwei Prozent abgesunken. Berücksichtigt man die Abschreibungen, liegt die Investitionsquote sogar nahe null. Die Kassenkredite der Kommunen – ihr Dispo – sind auf Rekordniveau und die Staatsschulden sowieso.
Steuern runter, Wachstum rauf, Schulden runter ist nur ein schöner Schein und zerbröckelt im Realitätstest wie heute unsere Schulen, Jugendclubs und Straßen. Auch wenn das Bundesfinanzministerium für das Jahr 2014 einen ausgeglichenen Haushalt auf geduldiges Papier schreibt, bleiben große Risiken, soziale Unwuchten, fehlende Verkehrsinvestitionen und die beschriebene Lage der Kommunen sowie vieler Länder. Hinter den Überschriften der Förderung der europäischen oder weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, der Vereinfachung oder Entschlackung verbargen sich immer wieder nur wohlfeile Begründungen für das süße Gift von Entlastungen auf breiter Front. Die Wahrheit ist: „Steuern runter, Schulden rauf.“
Nur: Rekordsteuereinnahmen sind in wachsenden Volkswirtschaften nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In 52 von 61 untersuchten Jahren gab es in Deutschland Steuerrekorde zu vermelden. So wäre es wohl eher eine Titelseite mit dicken Lettern wert, wenn die Richtung der Kurve mal nicht nach oben, sondern nach unten zeigt. Und übrigens: Die Steuereinnahmen liegen noch immer Dutzende Milliarden unter dem, was vor der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Jahre 2012 oder 2013 von den hoch anerkannten Steuerschätzern ganz offiziell erwartet wurde.
Die „Allianz“ rechnet uns gerade vor, dass die Vermögen der Deutschen im Jahr 2012 um sieben Prozent zugenommen haben. In keinem anderen OECD-Land hat zudem die Verteilung des Vermögens an Ungleichheit so gewonnen wie hierzulande. Hohe Einkommen, Vermögen und Kapitalerträge werden weit unterdurchschnittlich besteuert. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.
Das zeigt einmal mehr die Notwendigkeit, endlich wirksam gegenzusteuern. Mit Vernunft kombiniert, öffnen sich Chancen, gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Deshalb geht es nicht darum, alle Steuern für alle zu erhöhen, sondern nur manche für wenige. Nicht für die Facharbeiterinnen und Facharbeiter am Fließband, die Pflegekräfte oder die Lehrerinnen und Lehrer, sondern für die Vermögenden und Topverdiener, die auch davon profitiert haben, dass in der Finanzkrise mit dem Geld aller ihr großes Vermögen geschützt wurde.
Ich bin mir sicher, kein Pflänzchen des zarten Aufschwungs wird zertrampelt, wenn ein Lediger mit einem monatlichen Einkommen von 6125 Euro brutto genau acht Cent mehr Steuern bezahlen muss. Kein Staatssozialismus droht, wenn Einkünfte aus Kapitalvermögen vergleichbar versteuert werden wie Arbeit mit dem Kopf und den Händen. Darum muss die SPD an der Veränderung des Abgeltungssteuersatzes und der Erhöhung des Spitzensteuersatzes festhalten. Denn auch hierbei geht es um das gesamte Deutschland: Von den erhöhten Steuereinnahmen profitiert nicht nur der Bund, 42,5 Prozent gehen an die Länder, 15 Prozent an die Kommunen.
Wer die Bildungs- statt der Bröckelrepublik Deutschland propagiert, gleichzeitig Schulden abbauen und auch noch investieren will, der muss auch sagen, wo das Geld dafür herkommen soll. Die Messlatte ist ein Finanzierbarkeits-TÜV. Sonst bleiben alle Konzepte blasse Tagträumerei.
Steuererhöhungen müssen sich messen lassen an unseren Aufgaben. Die sind – siehe oben – gewaltig. Also: Runter von den Bäumen. Nehmen wir gemeinsam unsere Verantwortung wahr.
Dr. Carsten Sieling (SPD) ist Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages und Vize-Sprecher der Parlamentarischen Linken. Außerdem gehört er dem Parteivorstand der SPD an.
Es ist an der Zeit, die Steuerdiskussion – abseits aller Ideologie – vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Steuererhöhungen sind kein Selbstzweck. Sie orientieren sich an den Realitäten. Sie schaffen Gestaltungsspielraum für das Notwendige. Kurz: Sie ermöglichen Politik. Mit Investitionen in Bildung und Infrastruktur, mit der Stärkung der Länder und Kommunen und einer nachhaltigen Lösung für die Altschulden. Und sie sind – wie schon ein Blick in den aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung zeigt – ein Beitrag zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit in unserem Land.
Fragt man die Menschen auf der Straße, die Gewerkschafter, die Vorstände in den Chefetagen und die Forscher in der Wissenschaft, so sind sich alle einig: Die Investitionslücke in Deutschland ist riesig. Manche sprechen von 100 Milliarden Euro, die fehlen: jährlich!
Das ist die Realität: Deutschland lebt unter seinen Verhältnissen, schnallt den Gürtel so eng, dass kaum noch Luft zum Atmen bleibt, und kürzt sich künstlich arm – um Investitionen, Angestellte im öffentlichen Dienst und Löhne. Die öffentlichen Investitionen in Deutschland sind in den letzten Jahren zurückgegangen. Anfang der 70er Jahre lag ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt noch bei gut 4,5 Prozent, mittlerweile ist er auf unter zwei Prozent abgesunken. Berücksichtigt man die Abschreibungen, liegt die Investitionsquote sogar nahe null. Die Kassenkredite der Kommunen – ihr Dispo – sind auf Rekordniveau und die Staatsschulden sowieso.
Steuern runter, Wachstum rauf, Schulden runter ist nur ein schöner Schein und zerbröckelt im Realitätstest wie heute unsere Schulen, Jugendclubs und Straßen. Auch wenn das Bundesfinanzministerium für das Jahr 2014 einen ausgeglichenen Haushalt auf geduldiges Papier schreibt, bleiben große Risiken, soziale Unwuchten, fehlende Verkehrsinvestitionen und die beschriebene Lage der Kommunen sowie vieler Länder. Hinter den Überschriften der Förderung der europäischen oder weltweiten Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, der Vereinfachung oder Entschlackung verbargen sich immer wieder nur wohlfeile Begründungen für das süße Gift von Entlastungen auf breiter Front. Die Wahrheit ist: „Steuern runter, Schulden rauf.“
Steuerrekorde sind die Regel
Schließlich wären dann noch Rekordsteuereinnahmen, die angeblich alles Drehen an der Steuerschraube verbieten. Auch hier lohnt sich ein genauer Blick auf die Zahlen, die in der Tat auf den ersten Blick beeindruckend sind. Auf 615 Milliarden Euro belaufen sich die prognostizierten Einnahmen für den Staat in diesem Jahr. Auch in den kommenden Jahren zeigt die Kurve steil nach oben.Nur: Rekordsteuereinnahmen sind in wachsenden Volkswirtschaften nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In 52 von 61 untersuchten Jahren gab es in Deutschland Steuerrekorde zu vermelden. So wäre es wohl eher eine Titelseite mit dicken Lettern wert, wenn die Richtung der Kurve mal nicht nach oben, sondern nach unten zeigt. Und übrigens: Die Steuereinnahmen liegen noch immer Dutzende Milliarden unter dem, was vor der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Jahre 2012 oder 2013 von den hoch anerkannten Steuerschätzern ganz offiziell erwartet wurde.
Die „Allianz“ rechnet uns gerade vor, dass die Vermögen der Deutschen im Jahr 2012 um sieben Prozent zugenommen haben. In keinem anderen OECD-Land hat zudem die Verteilung des Vermögens an Ungleichheit so gewonnen wie hierzulande. Hohe Einkommen, Vermögen und Kapitalerträge werden weit unterdurchschnittlich besteuert. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.
Das zeigt einmal mehr die Notwendigkeit, endlich wirksam gegenzusteuern. Mit Vernunft kombiniert, öffnen sich Chancen, gemeinsam zu Lösungen zu kommen. Deshalb geht es nicht darum, alle Steuern für alle zu erhöhen, sondern nur manche für wenige. Nicht für die Facharbeiterinnen und Facharbeiter am Fließband, die Pflegekräfte oder die Lehrerinnen und Lehrer, sondern für die Vermögenden und Topverdiener, die auch davon profitiert haben, dass in der Finanzkrise mit dem Geld aller ihr großes Vermögen geschützt wurde.
Ich bin mir sicher, kein Pflänzchen des zarten Aufschwungs wird zertrampelt, wenn ein Lediger mit einem monatlichen Einkommen von 6125 Euro brutto genau acht Cent mehr Steuern bezahlen muss. Kein Staatssozialismus droht, wenn Einkünfte aus Kapitalvermögen vergleichbar versteuert werden wie Arbeit mit dem Kopf und den Händen. Darum muss die SPD an der Veränderung des Abgeltungssteuersatzes und der Erhöhung des Spitzensteuersatzes festhalten. Denn auch hierbei geht es um das gesamte Deutschland: Von den erhöhten Steuereinnahmen profitiert nicht nur der Bund, 42,5 Prozent gehen an die Länder, 15 Prozent an die Kommunen.
Wer die Bildungs- statt der Bröckelrepublik Deutschland propagiert, gleichzeitig Schulden abbauen und auch noch investieren will, der muss auch sagen, wo das Geld dafür herkommen soll. Die Messlatte ist ein Finanzierbarkeits-TÜV. Sonst bleiben alle Konzepte blasse Tagträumerei.
Steuererhöhungen müssen sich messen lassen an unseren Aufgaben. Die sind – siehe oben – gewaltig. Also: Runter von den Bäumen. Nehmen wir gemeinsam unsere Verantwortung wahr.
Dr. Carsten Sieling (SPD) ist Mitglied im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages und Vize-Sprecher der Parlamentarischen Linken. Außerdem gehört er dem Parteivorstand der SPD an.