Berlin - So einen Aufruhr haben die Grünen lange nicht mehr erlebt - haufenweise ernten sie nach ihrem Bundesparteitag
wütende Reaktionen: "Der neue Feind der Wirtschaft" titelt das
"Handelsblatt" am Donnerstag, "Linker als links" heißt es im
"FAZ"-Leitartikel, führende Grüne müssen sich in
Interview-Rechtfertigungs-Marathons abstrampeln.
Was ist passiert? Die Grünen wollen kräftig an der Steuerschraube
drehen: Erhöhung des Spitzensteuersatzes von jetzt 42 auf 49 Prozent ab
einem Brutto-Haushaltseinkommen von 80.000 Euro, Abgabe von 1,5 Prozent
ab einem Vermögen von einer Million Euro, Verdopplung des Aufkommens aus
der Erbschaftsteuer und Abschmelzung des Ehegattensplittings. Damit
gehen die Grünen ein Stück weiter als die SPD, die den 49-Prozent-Spitzensteuersatz erst ab 100.000 Euro einführen und das Ehegattensplitting zaghafter antasten will.
Die größte Aufregung gibt es aber deshalb, weil die Grünen schon ab
einem Bruttoeinkommen von 60.000 Euro den Spitzensteuersatz auf 45
Prozent anheben wollen und die Abschmelzung des Ehegattensplittings
schon bei einem Haushaltseinkommen von rund 5000 Euro zu Belastungen
führen könnte. Die Mittelschicht ist betroffen
Meinungsforscher mit positivem Urteil
Das klingt erst mal nach Wahlkampf-Harakiri. Bei Schwarz-Gelb reibt man sich mit Blick auf den 22. September bereits die Hände. Und bei manchem Grünen wächst inzwischen die Nervosität. Doch dafür gibt es wenig Grund - sagen jedenfalls führende Demoskopen.
"Optimaler hätte der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der grünen Steuerpläne nicht sein können", sagt Klaus-Peter Schöppner vom Umfrageinstitut Emnid. Und Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, meint: "Für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie die Besteuerung von Vermögen gibt es seit Jahren breiten Rückhalt. SPD und Grüne sorgen mit ihren Plänen für Unterscheidbarkeit zur Regierung."
Nanu. Die Meinungsforscher sehen die Vorhaben der Grünen längst nicht so kritisch wie viele Kommentatoren. Mancher Demoskop meint, dass die Partei mit dem Ruf nach höheren Abgaben sogar punkten können wird. Es sind vor allem drei Gründe, die aus ihrer Sicht dafür sprechen:
Sind die Steuerpläne also ein Selbstläufer? Ganz so einfach ist es auch
aus Sicht der Meinungsforscher nicht. Sie sehen vor allem ein
kommunikatives Risiko. "Wenn die Diskussion plötzlich davon dominiert
wird, wie die Wirtschaft oder die Mittelschicht unter den Plänen leidet,
könnte sie kippen", sagt Emnid-Chef Schöppner. Demoskop Jung sieht ein
ähnliches Problem. Sollten die Mittelstandsbelastungen im Mittelpunkt
der Diskussion stehen und nicht die höheren Abgaben für Vermögende,
"wäre das eine Gefahr".
Und eine Frage bleibt selbst für den Fall der richtigen Kommunikation
und des passenden Timings: Hilft es dem rot-grünen Lager insgesamt?
Denn wenn der Steuererhöhungs-Wahlkampf den Grünen gelingt, könnte dies
auf Kosten der SPD gehen. "Die Polarisierung mit diesem Thema nutzt nur
den Grünen", sagt Meinungsforscher Güllner. "Mit Umverteilung haben die
Sozialdemokraten noch nie eine Wahl gewonnen." Demoskop Jung drückt es
so aus: Angesichts der grünen Pläne "verblasst die SPD dahinter etwas
mit ihren weniger konkreten Positionen, etwa bei der Vermögensteuer".
"Die Grünen könnten der SPD damit sogar noch Wähler entziehen", sagt Forsa-Chef Güllner. Aber warum auch nicht? Angesichts der schwachen SPD-Werte reicht es schon jetzt nicht für Rot-Grün. Güllners Vermutung: "Die Grünen wollen eben möglichst stark werden - und dafür müssen sie nicht mehr Rücksicht auf die SPD nehmen."
ANZEIGE
Meinungsforscher mit positivem Urteil
Das klingt erst mal nach Wahlkampf-Harakiri. Bei Schwarz-Gelb reibt man sich mit Blick auf den 22. September bereits die Hände. Und bei manchem Grünen wächst inzwischen die Nervosität. Doch dafür gibt es wenig Grund - sagen jedenfalls führende Demoskopen.
"Optimaler hätte der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der grünen Steuerpläne nicht sein können", sagt Klaus-Peter Schöppner vom Umfrageinstitut Emnid. Und Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, meint: "Für die Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie die Besteuerung von Vermögen gibt es seit Jahren breiten Rückhalt. SPD und Grüne sorgen mit ihren Plänen für Unterscheidbarkeit zur Regierung."
Nanu. Die Meinungsforscher sehen die Vorhaben der Grünen längst nicht so kritisch wie viele Kommentatoren. Mancher Demoskop meint, dass die Partei mit dem Ruf nach höheren Abgaben sogar punkten können wird. Es sind vor allem drei Gründe, die aus ihrer Sicht dafür sprechen:
- Da wäre zum einen die politische Großwetterlage. Meinungsforscher Schöppner macht seit dem Beginn der Finanzkrise 2007 in der Bevölkerung "eine Entfremdung von der wirtschaftlichen Elite" aus. Teile der Gesellschaft seien inzwischen empfänglicher für Steuererhöhungen als das noch früher der Fall war. "Mit der Debatte um Steueroasen und Uli Hoeneß befinden wir uns am Kulminationspunkt", sagt Schöppner. "Vor dem Hintergrund eines latenten Gefühls der Ungerechtigkeit, das etwa die Hälfte der Bevölkerung empfindet, passen die Steuerpläne gut."
- Auch Kollege Jung meint, dass die Grünen trotz des harschen Gegenwinds gestärkt aus der Debatte herausgehen könnten. Die Wähler, glaubt er, könnten die Steuervorhaben unter Ehrlichkeit verbuchen. "Die Pläne geben den Grünen die Chance, im linken Spektrum die Meinungsführerschaft in der Steuerdebatte zu erobern", sagt er. "Ihre Vorschläge sind sehr pointiert und fassbar. Bei den Grünen weiß man, woran man ist."
- Aus Sicht von Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa, bietet der Steuerstreit den Grünen vor allem die Chance, eine breitere Wählerschicht anzusprechen. "Die Grünen haben eine hohe Stammwählerschaft, die wählen sowieso grün, egal was die machen", sagt er. Mit ihren weitgehenden Steuerplänen werde die Partei aber möglicherweise auch über ihre Kernklientel hinaus für Wähler interessant: "Sie können damit noch Neu-Wähler gewinnen", sagt er. Ähnlich sieht es Schöppner. "Bislang waren die Grünen die Partei der Bessersituierten", sagt der Emnid-Mann. "Jetzt könnten sich auch linksorientierte Wähler für sie interessieren. Man könnte sagen: Sie sind auf dem Weg zur neuen Arbeiterpartei."
ANZEIGE
"Die Grünen könnten der SPD damit sogar noch Wähler entziehen", sagt Forsa-Chef Güllner. Aber warum auch nicht? Angesichts der schwachen SPD-Werte reicht es schon jetzt nicht für Rot-Grün. Güllners Vermutung: "Die Grünen wollen eben möglichst stark werden - und dafür müssen sie nicht mehr Rücksicht auf die SPD nehmen."