Richard-David Precht zeigte gestern,ebenso wie Professor Sinn,zum
wiederholten Male kaum Mumm.Was Intellektuelle eigentlich wenigstens
schriftlich doch leisten können sollten!
"
Der Intellektuelle beherrscht und
betreibt die Kunst des
öffentlichen Wortergreifens
(prise de parole)
im Namen einer universellen
Verantwortung oder der
Rechte des Menschen." (s.
Verantwortungsethik & kognitive Dissonanz als Ausgangspunkt der
Therapie )
Als Intelektuelle gehandelte Mitmenschen haben nach meiner Auffassung einfach
ausgedrückt ernsthaften Durchblick bzw. haben die ausgeprägtere Fähigkeit sich
Durchblick anzueignen.Und suchen dann mit den Jahren aus Gewissensgründen
die Konfrontation bzw. die Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen vor allem aus der Politik!
Leider ist auch Richard-David Precht u.a. nur zu sehr mitlaufendes Mitglied in der
FDP(...).
Ich habe früher auch geglaubt,studierte Philosophen seien Intellektuelle.Aber das
ist nach meiner Auffassung auf das eigentlich weitreichender erlernte Denken bezogen!
= Durch dementsprechendes Handeln müssen auch studierte Philosophen erstmal
ihr dahingehendes Intellekt beweisen.
= Vor einigen Monaten habe ich in freundlicher Art und Weise das wahrscheinlich
größte Philosophen-Netzwerk in Deutschland angeschrieben.
Die Antwort war in etwa ziemlich genau so:
Piep,piep,piep,kein Anschluss unter dieser Nummer.
Z.B. den Wirtschafts-Professor Joachim Starbatty halte ich viel eher für einen
Intelektuellen.Auch wenn ich die mit von ihm vorgenommenen Verfassungsklagen
hinsichtlich der Europäischen-Finanzpolitik,insbesondere der Krisen-
bewältigung innerhalb der Euro-Zone nicht ganz teilen kann.
= Immerhin haben einige Wirtschafts-,Finanzwissenschaftler und Experten
versucht ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
= Währenddessen der Stammkunde vor dem Bundesverfassungsgericht,Peter
Gauweiler,als promovierter Jurist ebenso schon vor mehr als einem Jahrzehnt den
Mund hinsichtlich des Koma-Patienten Justiz hätte aufmachen müssen !!!
= Auch für Peter Gauweiler muss gelten: spätestens zur kommenden
Bundestagswahl ist gefälligst Schluss mit bezahlter Politik !!!
Mit herzlichen Grüßen Thomas Karnasch
P.S. Euro-Abwertung in Griechenland geht doch:
Das dort vorhandene Euro-Geld einsammeln und durch diesbezüglich deutlich
aufgedruckt beschrieben abgewertetem Euro-Geld ersetzen(besonders fürs
Ausland wichtig)!!!
= Was doch klar einem kalkulierbarerem Risiko im Gegensatz zur Drachme-
Einführung bedeuten würde!
= Schubladen-Professor(Ifo-Institut) Werner Sinn hat gestern wieder einmal,
ähnlich wie Peter Gauweiler behauptet,eine Euro-Abwertung würde in
Griechenland nicht funktionieren und Griechenland müsse aus der Euro-Zone ausscheiden(...).
Was sind und tun Intellektuelle?
Definitionen, Voraussetzungen, Aufgaben -
und
[nach: Der kritische Blick. Über intellektuelle Tätigkeiten
und Tugenden. Justus Wenzel (Hrsg.). Fischer TB. Frankfurt a.M. 2002]
- Woran erkennt man Intellektuelle - ausser daran, dass sie gelegentlich
die eigene Existenz bezweifeln?
- Sie fragen sich, wozu sie da sind, und beklagen sich darüber, dass
keiner sie braucht.
- Sie sprechen im Namen einer kommenden, aber nie ankommenden Zukunft
- Mit Vorliebe verdammen Intellektuelle die herrschende Meinung,
die sie selbst mit produziert haben. Sie spielen den Bürgerschreck, und
sind erbost, wenn sie einfach übersehen werden.
Dirk Baecker:
- Ein Intellektueller ist
jemand, der etwas gelesen hat
- Ein Intellektueller ist
jemand, der ein Problem hat.
(Womit ein Problem kognitiver Dissonanz gemeint ist, s.
Therapie)
Sighard Neckel:
Die Funktion von
Intellektuellen ist es, die Blicke auf ausgeblendete Tatsachen zu richten.
Ein kalter Blick ist
hier meist wertvoller als ein heisses Herz und ein boshafter Kommentar oft
treffender als die moralische Denkschrift.
(s.
Zynismus &
Kritik)
|
Anders formuliert: Intellektuelle sollen diejenigen Fragen stellen, die
andern entweder nicht einfallen, die andere sich nicht trauen zu stellen ... und
vor allem diejenigen Fragen, zu denen niemand eine Antwort weiss, obwohl es sich
um Fragen handelt, die für die Entwicklung entscheidend sein können. Nach dieser
Definition wären Intellektuelle nicht in erster Linie Vor- oder Nach-Denker,
sondern
Zwischen-Denker. Sie denken zwischen den Disziplinen.
Ein Intellektueller ist einer, der in eine Bibliothek geht,
selbst wenn es nicht regnet.
(Andre Roussin, frz. Dramatiker,
1911-1987)
|
Sofsky:
- Nicht moralischer Alarm oder
empathische Kleinkunst ist die vordringliche Aufgabe des Intellektuellen,
sondern ungefilterte,
illusionslose Beobachtung mit wechselnden Brennweiten.
Adorno:
- Das Bedürfnis, Leiden beredt
werden zu lassen, ist die Bedingung aller Wahrheit. Männer und Frauen, die
diese Notwendigkeit nicht spüren, werden wahrscheinlich nicht zu den
kritischen Wahrheiten über ihre eigene Gesellschaft durchdringen.
Max Weber:
- Eine der wichtigsten
Voraussetzungen des Intellektuellen ist das
Augenmass,
the sense of proportion,
die Fähigkeit, ein gelassenes Urteil über die relative Wichtigkeit von diesem
und jenem zu fällen.
Foucault:
- Der Intellektuelle hat weder
Prophet noch Vordenker zu sein - er soll zuhören, forschen und erfinden und
den Organisationen unter die Arme greifen, die den "Widerstand gegen
neoliberale Politik" auf ihre Fahne geschrieben haben.
Sartre:
- Der Intellektuell ist
incorruptible.
Popper:
- Theorien sind Schweinwerfer,
die Ausschnitte der Realität ins Licht rücken, und genau das ist nötig.
(s. Theorie in: Komplexe
Argumentation).
Dahrendorf:
Intellektuell leitet sich ab von
Intelligenz,
und dieses wiederum von
intellegere, dazwischen Auswählen. Intelligente
sind also Menschen, die fähig sind, die rechte Wahl zu treffen. Von dieser
Herkunft des Wortes her ist der Unterschied zwischen Intelligenz, Klugheit und
Weisheit leider nicht so klar, wie man ihn gern hätte.
L'intelligence suprême,
supreme intelligence, die höchste Intelligenz war selbst für Kant ein
Synonym für Gott. Im französischen Absolutismus wurden der König und seine
Minister als "
L'intelligence de l'Etat" bezeichnet. Ein Ueberbleibsel
davon ist der englische Ausdruck
intelligence für Geheimdienste, die, wie
die CIA immer wieder belegt, ja nicht immer zu den Intelligentesten gehören,
sondern eben das Wissen so drechseln, dass es dem Staat dient. Die
Intellektuellen waren die Gelehrten, Literaten, Gens des Lettres, Clercs,
Ideologen, Gebildete, Geistesarbeiter, Genies etc. Die Intellektuellen waren
aber auch für die weniger Intellektuellen, diejenigen mit den zwei linken
Händen, die zu keiner praktischen Tätigkeit Fähigen, die meist in
Abstraktion verharrenden, überflüssigen, entfremdeten, aus der Gesellschaft
ausgeschlossenen. Der Unterschied hat sich erst mit der Zeit herausgearbeitet,
vor allem dank der geistig doch recht beschränkten Intelligenztests. Diese
machten Intelligenz definitiv zur eher technischen Erkenntnisfähigkeit - während
Klugheit die praktische Anwendung von Erkenntnis und Wissen unter reellen
Bedingungen meint - und
Weisheit die Fähigkeit, gesamtsystemisch,
gestaltmässig, über ganzheitliche Aspekte zu entscheiden, und dies erst noch
unter Berücksichtigung ethischer Werte.
Definition:
Intellektuell heißt verstandesmäßig, vom Verstand her; kritisch; wird
oft auch für wissenschaftlich gebraucht. Zu den Intellektuellen gehören
unter anderem Wissenschaftler, Schriftsteller, Menschen, die analytisch (
Analyse) befähigt und/oder geistig produktiv, schöpferisch sind.
Ein Intellektueller hat oft nicht die Bereitwilligkeit oder
Fähigkeit,
geistiges Wissen zu vermitteln, sondern will seine schöpferische
Verstandeskraft "original" zum Ausdruck bringen. Dadurch wird die
Verständigung zum weniger "Gebildeten" erschwert.
Beispiele:
-
Theodor W.
Adorno,
Roland
Barthes,
Pierre
Bourdieu, Noam Chomsky,
Durkheim,
Foucault,
Günter
Grass,
Antonio Gramsci,
Habermas,
Horkheimer,
George Orwell,
Emile Zola ....
-
- Feministische
Intellektuelle
http://www.nadir.org/nadir/archiv/Feminismus/GenderKiller/gender_13.html
- ... und
viele mehr.
Voraussetzungen und Ziele
Der Intellektuelle analysiert der Gründe menschlichen Handelns
(s. Orientierung), vorzugsweise durch illusionslose Betrachtung.
Gesellschaftskritik kann sich auch nicht zu stark an der
Machbarkeit, der politischen Umsetzbarkeit, orientieren. Sie zielt auf die
Fernwirkung eines allmählich wachsenden Zweifels, auf die Umorientierung
zukünftiger Prozesse, nicht (bloss) auf die momentane argumentative Überzeugung.
Nach Gumprecht erwachsen dem Intellektuellen auch neue Funktionen aus der
zunehmenden, und zunehmend kleinkariert strukturierten Komplexität:
Statt
Fackelträger in der Nacht wären die neuen Intellektuellen Katalysatoren von
Komplexität in einer stets von zu viel Struktur, von zu viel Organisation,
von Negentropie eher als von Orientierungslosigkeit bedrohten Kultur.
Erste und wichtigste Bedingung des Intellektuellen ist jedoch
- Die
Mitwirkung an öffentlicher Debatte.
Diese ist insbesondere von Bedeutung für den Unterschied zwischen Gelehrten
und diplomierten Akademikern, die sich auf ihren
Auftrag berufen können. Hierin
unterscheiden sie sich auch vom generellen Definition des Kopf- oder
Geistesarbeiters (
brainworker, s.
Titelseite):
s
Brainworker sind Intellektuelle, die gerne
Bücher lesen und ev. sogar sammeln, das Gehirn kreativ nutzen um denkend Chaos
zu entziffern und zu ordnen, die skeptisch und kritisch analysieren, rational
argumentieren und visionär synthetisieren - kurzum, Leute die ihre Verwunderung
über verschiedenste Dinge die sie interessieren freien Lauf lassen.
Jacques Derrida:
- Der Intellektuelle beherrscht und
betreibt die Kunst des
öffentlichen Wortergreifens
(prise de parole)
im Namen einer universellen
Verantwortung oder der
Rechte des Menschen. (s.
Verantwortungsethik & kognitive Dissonanz als Ausgangspunkt der
Therapie )
Intellektuelle erhalten ihr Salär (so so sie eines erhalten ...) meist von
Institutionen, die Gedanken in schriftlicher oder gesprochener Form zu
reproduzieren haben. Der Intellektuelle hat etwas gelesen, sein Urteil gebildet,
und muss nun dieses dem Urteil des Publikums aussetzen, das jedes Urteil mit
anderen möglichen Urteilen vergleicht.
Die erste und offensichtlichste der notwendigen Tugenden eines
Intellektuellen ist MUT. Mut, Mitleid und
Augenmass - sind aber nicht ausreichend. Die
Freiheit von Positionsinteressen, also
soziale Unabhängigkeit, ist eine
weitere Voraussetzung der intellektuellen Gesellschaftskritik. Die Forderung
nach sozialer Unabhängigkeit wird jeden Soziologen und Psychologen zum Grinsen
(oder weinen) bringen, denn sie ist, ausser für den Eremiten vielleicht,
eigentlich unerfüllbar. Präzise hier liegt die Ursache, man könnte es auch
Problem nennen, die Intellektuelle zu professionellen Aussenseitern macht. Dies
wird verdeutlicht durch die folgenden leicht zynischen Maximen
Klaus Koch:
- Maxime für den Intellektuellen: Verhalte dich stets so, dass sie dir
keinen Preis verleihen können, auch wenn sie es gerne täten.
-
"
Gerate nicht in eine Situation, in der Du die Hand beissen müsstest, die dich
streicheln will. (= Vermeide Dankesreden)
- Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten ...
Der (die ist mitgemeint) Intellektuelle fordert
Solidarität für die
Menschheit schlechthin - nicht für ein Volk, einen Staat oder eine Klasse.
Aussenseitertum der Intellektuellen - Voraussetzung oder Folge?
Um an die Quelle zu kommen, muß man
gegen den Strom schwimmen.allerdings:
Schwimmer gegen den Strom dürfen
nicht erwarten, daß dieser seine Richtung ändert.
(Stanislaw Jerzy Lec, polnischer
Satiriker, 1909-1966)
|
Warum willst du dich von uns Allen
und unserer Meinung entfernen? -
Ich schreibe nicht euch zu gefallen,
Ihr sollt was lernen.
Goethe
|
Die Forderung der sozialen Unabhängigkeit begründet das
Aussenseitertum
Intellektueller, die
Distanz zur Welt, der Intellektuellen eigentlich mal ursächlich. Darüber hinaus
kultivieren viele Intellektuelle natürlich das Exil, operieren an den Rändern
der Gesellschaft, wurzellos - aber in jeder Metropole zu hause. Sie denken in
mehreren Sprachen, sind eloquente Anwälte von Minderheiten, romantische
Aussenseiter an der Peripherie der bürgerlichen Welt. Ihre Geburtsstätte und
Heimat ist jedoch die
Grosstadt. (Ich kenne den mit der
Grossstadt, scheiss aber drauf. Im Internet finden Sie zwar 40'000 Grossstadt
gegen nur 6000 Grosstadt, 70 Grosssägerei gegen nur 18 Grossägereien, aber da
ich es gewohnt bin, in der Minderheit zu sein ...).
Intellektuelle verweigern die Anpassung, d.h. sie verweigern der Mehrheit der
Mittelmässigkeit die Anerkennung genau so, wie diese sie ihnen verweigert.
Intellektuelle haben ihr Ansehen und Gewicht ausserhalb des
Wissenschaftsbetriebs eingebüsst, da Intellektualität häufig mit
Dilettantismus und technischer Inkompetenz assoziiert wird.
Zudem wird ihr Blick oft durch die Milchglasscheibe der Hoffnung getrübt und
sie werden romantisch statt postmodern. So ist ihr Leben oft nicht auf
praktische Ziele ausgerichtet -
Ihr Reich ist nicht von dieser Welt - und
sie finden Befriedigung in Kunst, Wissenschaften oder metaphysischen
Spekulationen, also im Besitz immaterieller Güter. Das Bestreben praktisch
zu werden wird zum Quell all ihrer Niederlagen.
Intellektuelle werden um so bedeutender, je tiefer die Kluft zwischen
herrschender Ideologie und Realität
Intellektuelle haben die Aufgaben der Dynamisierung der Gesellschaft, der
Durchsetzung und Verteidigung des Rationalitätsprinzips, der Vermittlung eines
gesellschaftlichen Selbstverständnisses, der Erzeugung einer Profankultur (womit
nicht Hollywood gemeint wäre sondern eine irdische, reale, im Gegensatz zur
transzendentalen, ewigen, durch die Kirche vermittelten) Kultur. Intellektuelle
bleiben allerdings gefangen in der Zersplitterung des disziplinären Wissens und
erreichen weder den Status handlungsorientierter Klugheit (
Phronesis)
noch den umfassenden Überblick und die Sicherheit im Werten, also Weisheit, die
der Philosoph anstrebt.
Es ist merkwürdig, dass ein mittelmässiger Mensch oft vollkommen recht haben kann, - und doch nichts damit durchsetzt.
Christian Morgenstern
|
Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei
wen'gen nur gewesen.
Schiller: Demetrius
|
Ein
Bedürfnis nach Intellektuellen entsteht immer dann, wenn den
Menschen ihre eigene Zeit nicht mehr geheuer ist, wenn sich Ideologie und
praktisches Leben nicht mehr decken, wenn es gilt, bessere Modelle des Selbst-
und Weltverständnisses zu entwickeln. Dabei darf sich der Intellektuelle nicht
einseitig auf eine Seite schlagen. Weder soll er sich dem Zeitgeist unterwerfen,
noch soll er ihn in eine bestimmte Form zwängen.
Ein
Intellektueller verkauft sich nicht und lässt sich von niemandem (und
nichts) ausser sich selbst sagen, was er tragen, kaufen oder essen soll.
Naomi Klein: No Logo! Goldmann, Random House. 2000.
S. 310
|
Historisch betrachtet dürften viele Intellektuelle ihre Wurzeln bei Diogenes
haben, dessen
Kyniker
ebenfalls als Wadenbeisser und Pferdemücken den Auftrag hatten, den Arrivierten
die Schwachstellen ihres Systems bewusst zu machen.
Schumpeter sagte eine Vergrösserung der Intellektuellenschicht voraus
und eine soziale Radikalisierung, weil die unsichere gefährdete Berufslage - in
allen Berufsgattungen - die Kapitalismuskritik verstärken würde. Er hat sich
getäuscht. Weil innere Selektion dafür sorgt, dass nur noch sehr wenige Themen
medial behandelt werden, die Themen immer rascher wechseln und daher kaum je
vertieft werden und sich immer mehr Intellektuelle nur noch mit Fragen von
tagespolitischer Relevanz befassen. Unser Zeitgeist fordert, man müsse in der
Realität leben: Immer schneller, immer besser, immer weiter, immer höher ...
womit er sich eigentlich gleich selbst widerspricht, denn auf die Art ist man ja
nie hier. Zu diesem modernen Geist ist noch zu bemerken, dass
Modern
nicht von Anfang an ein positiver Begriff war. Es bedeutet auf Lateinisch
DERZEIT, und bezeichnete noch vor Jahrhunderten
diejenigen, die borniert in
den Grenzen ihrer tagtäglichen Umwelt agierten. Erst später wurde es zum
Ehrentitel: Auf der Höhe der Zeit zu sein.
Martin Herzog, Dipl. Ing. ETH,
Webdesign, Rheinfelden, 30. Juni 2004
___________________________________
Die Weisheit der Vielen
Der individuellen Form des Wissens wie es durch die meisten Intellektuellen
gepflegt wird steht vor allem die "
Weisheit der Vielen " (
James Surowiecki: The
wisdom of crowds) entgegen. Zu recht behauptet Surowiecki, dass in der
Menge viel mehr Wissen vorhanden und möglich ist, als es ein einzelner erfassen
kann. Dies entspricht der Volksweisheit:
Vier Augen sehen mehr als zwei.
Gerade daran aber kann auch das Problem sehr schön erklärt werden, denn
es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie die zwei Träger der
unterschiedlichen Augenpaare recht bald in die Haare kriegen, wer denn
nun das Richtige sehe - oder wer die Sache richtig sähe. Gerade weil der
einzelne gezwungen ist zur Auswahl, stellt die Gruppe ein
weitaus grösseres Reservoir an Wissen dar. Er vernachlässigt aber die
Mechanismen der Gruppendynamik und der Masse, die immer Einheit, oder
zumindest
Mehrheit will. Der Einzelne der da nicht reinpasst, wird ausgeschlossen
oder
still gestellt. Mehrheiten denken nicht mehr, sie wissen; nur der
Einzelne ist
hier wieder in der Lage, durch Kritik und Widerstand ein Umdenken
anzuregen -
wenn er sich Gehör verschaffen kann.
Es ist also nicht die Masse, sondern
diejenigen, die sich ihr entfremden, die schwarzen Schafe, die Wissen schaffen
... oder, weniger extrem, zumindest nur diejenigen, die es noch wagen,
selbständig zu denken.
Das war meine Meinung. Inzwischen hab ich James Surowieckis:
Die Weisheit
der Vielen. [C. Bertelsmann. München 2004] gelesen, und da kommen doch eine
ganze Menge interessanter Dinge hinzu. Hier also eine etwas differenziertere
Darstellung:
Die Intelligenz der Vielen (Masse ist bei wiki etwas irreführend, da
Massenpsychologie eben zu ganz andern Resultaten führen kann als eine Weisheit
der Menge. Weisheit ist auch bei Surowiecki etwas irreführend, Intelligenz oder
Wissen wäre passender, da es bei Weisheit um Werte und Wertung geht, die nicht
nach Mehrheiten bestimmt werden können und dürfen und sollen und wollen. ) wurde
von Francis Galton entdeckt. Er war zwar der Meinung, dass die Dummheit und
Verbohrtheit vieler Männer und Frauen von unglaublichem Ausmasse sei, eine
Gesellschaft also nur überlebe, wenn sie von "Auserwählten" geleitet werde.
Einige Experimente brachten ihn aber zu dem erstaunlichen Resultat, dass eine
Menge von unabhängigen Menschen einen Sachbestand viel präziser einschätzen kann
als sogar die besten Experten. Er zeigt dies am Beispiel der
Schlacht-Gewichtsschätzung eines Ochsen, die per Wette abgehalten wurde. 800
Leute versuchten ihr Glück, darunter Fachleute wie Metzger und Bauern, die hier
reiche Erfahrung besassen. Die Schätzungen waren glockenförmig verteilt
(Gaus-Verteilung / Normalverteilung), es gab also viele, die dem richtigen Wert
nahe lagen, und zunehmend weniger mit zunehmendem Irrtum. Und nun staunte Galton,
denn der Mittelwert der Schätzung betrug 1197 Pfund, das Schlachtgewicht des
Tieres 1198 Pfund.
Kollektive Entscheidungen
sind nur weise,
wenn sie viele verschiedenartige Informationen enthalten. [S. 98] |
Kleine Gruppen laufen
insbesondere Gefahr, zu sehr auf Konsens zu setzen. [S. 240] |
Neue Botschaften werden
häufig umgebogen, damit sie den Inhalt der alten Botschaften bestätigen -
ein besonders heikler Punkt, da gerade ausgefallene Nachrichten oft einen
besonders wichtigen Informationswert besitzen. (Wenn Leute lediglich Dinge
sagen (und tun), die wir von ihnen erwarten, werden sie unser Denken kaum
ändern). [S. 244] |
Positive Randbedingungen für eine Weisheit der Menge:
Meinungsvielfalt und -unabhängigkeit innerhalb einer Gruppe ist wichtig,
weil die richtige Entscheidung eben gerade NICHT durch KONSENS gefasst wird,
sondern sich durch den Ausgleich der Fehler der Einzelschätzungen ergibt.
Präzise diese Qualität der Menge nutzt Google.
Einschränkende Bedingungen für eine Weisheit der Menge:
Eine Gruppe, die zu stark kommuniziert, wird zu sehr in die Richtung
einzelner Experten gelenkt, und liegt dann wieder voll daneben.
Kollektive
Intelligenz nimmt ab mit der Grösse der Gruppe, da sich Massen leicht in Hatz
setzen lassen, ist aber auch bedroht bei zu kleinen Gruppen, da diese zu Konsens
tendieren.
Gruppensolidarität, Gruppenkonformität, Gruppenzwang verhindern intelligente
Lösungen, die eben gerade auf dem unterschiedlichen Wissen, den
unterschiedlichen Meinungen und den unterschiedlichen Interessen der Gruppe
basieren.
Ein klassisches Beispiel dafür sind die Treiberameisen, bei denen einfach
eine der andern folgt. So beobachtete William Beeb im Dschungel von Guyana
solche Ameisen, die rund um einen Krater wanderten, 370 m, wozu sie zweieinhalb
Stunden brauchten ... bis nach zwei Tagen die meisten von ihnen tot umfielen.
(Erinnert ein bisschen an die heutige Situation unserer Wirtschaft: Mehr und
länger und härter arbeiten für weniger Lohn - um den
zu sichern. äh
... quäck ... bla.)
Als tragisches Beispiel für das Versagen einer höchst komplexen Organisation
nimmt Surowiecki das Zerschellen des Raumschiffs Columbia 2003. Dass beim Start
ein Stück Isolation auf die Tragfläche geknallt war, wurde beobachtet und
untersucht durch ein Team zur Bewertung von Trümmerschäden (DAT). Es war auch
klar, dass ein Stück von dieser Grösse beträchtliche Schäden anrichten kann, um
so mehr als die Formel zur Berechnung von Schäden nicht mal auf derart grosse
Stücke ausgelegt war. Es
geschah aber das, was in den meisten Teams geschieht: Bereits am Anfang der
Untersuchungen gab ein Experte bekannt,
dass ein Stück Schaumstoff einfach
keinen Schaden anrichten könne ... und dass es eh nix gäbe, was man tun könne.
Was nicht stimmt, denn die NASA hatte bereits Strategien für einen solchen Fall
entwickelt. Dazu kam die tendenziöse Art bei Befragungen, die aus allen
Sitzungen bekannt sind:
Keine weiteren Fragen? (= Lassen Sie's
bloss bleiben!) In dem Fall:
Also kein Flugsicherheitsproblem.
Nichts, was diesen Weltraumflug in Frage stellt. Nichts was man
anders machen müsste. Es geht also gut aus, oder? (Linda Ham).
Aehnlicher Group-Think herrschte auch bei der Invasion der Schweinebucht ...
und beim Angriff auf den Irak.
Surowiecki nennt hier anhand der Geschworenengerichte die zwei hierzu
gehörenden
Typen:
- Die Jury orientiert sich primär am Entlastungsmaterial, stimmt nie ab ohne
vorherige Diskussion, debattiert, sortiert, sucht alternative Erklärungen für
den Tathergang, geht also quasi wissenschaftlich/philosophisch vor.
- Die Jury betrachtet es als ihre Aufgabe, möglichst schnell (und
kostengünstig) zu einem Urteil zu kommen, stimmt ab ohne Diskussion,
debattiert, um "Abweichler" umzustimmen.
Die MASSE, der MOB:
Ein Mob kennt die Weisheit der Menge nicht. Er denkt und handelt extrem -
da er von meist wenigen "Rädelsführern" radikalisiert wird.
Es gibt also keine Weisheit der Masse im Sinne von Mob (s. Börsenblasen),
sondern nur eine Weisheit der Vielen.
DIE KASKADE:
Sorowiecki nimmt als Beispiel für eine positive
Entwicklung die auf einer Einzellösung basiert welche sich durchsetzte, besser
durchgesetzt wurde, die Normschraube von
William Sellers. Man
muss heute, bei der Globalisierung, wohl kaum erklären, dass Industrialisierung,
Spezialisierung und Massenproduktion ohne Normierung unmöglich wären (sollte
aber dabei nicht vergessen, dass die derart gelobte Globalisierung eben auch den
Stempel der Normierung trägt, die sich nicht auf Schrauben beschränkt, sondern
längst den Menschen im Kern erfasst hat. (Einschulung zwecks Normierung der
Sprachkenntnisse mit 3 Jahren!) Sellers setzte also bei Eisenbahn und Marine an,
und setzte seinen Standard innert 10 Jahren national durch. Etwas ähnliches, auf
das die meisten allerdings lieber verzichten würden, war die Durchsetzung des
Betriebssystems Windows für Computer als Norm.
Präzise durch dieses Problem der Masse kann auch Google, noch mehr Wikipedia,
in die Irre gehen - und tut es auch andauernd.
Surowiecki liefert so nebenbei auch noch einen Beleg dafür, dass
Gerechtigkeit nicht nur ein menschliches Bedürfnis ist, sondern sich sogar bei
Kapuzineraffen findet. Die Affen wurde jeweils, wenn eine(r) einen Kieselstein
ablieferte, mit einer Gurkenscheibe belohnt. Kleiner Lohn für kleine Arbeit. Als
aber eine Äffin statt mit Gurke mit Traube belohnt wurde, warfen die andern die
Kiesel hin und schmollten.
Spezialproblem:
Zweiparteiensysteme (REGIERUNG <>
OPPOSITION) sind nicht weise, sondern dämlich:
Ein Problem auf das wir immer häufiger bei Wahlen stossen, ist die
Bipolarität der Meinungen, also der Schätzung. Das Abstimmungssystem ist mit
ja/nein natürlich darauf angelegt - aber genau dadurch verhindert es, dass die
Weisheit der Menge wahr genommen wird. Bei praktisch allen knappen Entscheiden,
51/49 und ähnlich, will die Weisheit der Menge nämlich nicht den Sieger, sondern
eben präzise einen Kompromiss, der irgendwo dazwischen läge, und ausgehandelt
werden müsste - es aber nicht kann, auf Grund der grassierenden Wettbewerbs- und
Siegermentalität. Eine zweigeteilte Menge kann also gar nicht mehr
richtig optimieren per Abstimmungsverhalten - wenn das nicht später durch die
politischen Gremien geschieht ... weshalb Blocher als Verweigerer
auszuschliessen war. wzbw
Nun zeigt allerdings die neuere Entwicklung (GB, Nordrhein-Westphalen
Mai 2010), dass auch bei einem sich entwickelnden Multiparteiensystem
der Wählerwille unter Umständen völlig ins Gegenteil verkehrt werden
kann. Haben die Bürger nach Jahren einer Linksregierung genug von leeren
Versprechungen und möchten es wieder mal rechts versuchen, wählen also
die Tories (306 Sitze) statt Labor (258 Sitze), wonach sich allerdings
die Möglichkeit bietet, dass die Liberaldemokraten (57) mit Labour eine
Koalition eingeht (Koalition der Verlierer), und die Regierung übernimmt. Oder
in Nordrhein-Westphalen, wo die CDU massiv abgestraft wurde aber keine
Partei alleine über eine Mehrheit verfügt, ergeben sich gleich 4
mögliche Koalitionen: Grosse (linksrechts), rot-rot-grün (ganzlinks),
Ampel (rot-gelb-grün: links-mitte-links) und Jamaika (schwarz-grün-gelb:
rechts-links-mitte). Dummerweise fühlen sich die Linkswähler durch
einen Einbezug der Dunkelroten genau so verarscht wie durch einen
Einbezug von Schwarzen oder gelb). Die Trendwahl funktioniert also nur,
wenn sich die grossen Blöcke nach und nach auflösen und aus einer
Mehrzahl kleiner eine entsprechende Kombination entstehen kann.
Allerdings haben in der Politik genau wie in der Wirtschaft (economy of scale),
die Grossen halt schon andere Möglichkeiten als die Kleinen - und
Kleine sind manchmal schon ein bisschen sehr einseitig, man erinnere
sich etwa an die Autopartei und ähnliche Scherzprodukte. Die ideale Welt
gibt es auch mit der Demokratie nicht.
Das Galton-Brett (s. Bild
links) zeigt, dass bei abwechselnden und zufälligen Entscheidungen 1/- oder
rechts/links eine Normalverteilung entsteht, wenn sie in Kaskaden erfolgen.
Wird erst über das Endprodukt per entweder/oder entschieden, kriegen wir also
eine zufällig verteilte Sammlung von Endprodukten, einmal mehr links, einmal
mehr rechts (oder 4 Jahre links, dann vier Jahre rechts, was auch nicht
sinnvoller ist) ... was eigentlich präzise der Eindruck ist, den unsere Politik
meist erweckt.
Gruppenpolarisierung:
Entgegen der Erwartung, dass Beratungen
rationale und gemässigte Urteile garantieren, zeigen Studien von
Geschworenenjurys, dass sich die Teilgruppen hin zu extremeren Positionen
bewegen. Das liegt daran, dass man seinen Standpunkt klar machen will - und
dafür gerne auch etwas übertreibt, also polemisiert. Wir finden das extrem in
der Politik - wo aber die Resultate eben präzise zeigen, insbesondere anhand der
Ständeratswahlen, dass eben NICHT diese Extrempositionen eigentlich gewünscht
sind, sondern ein faires Mittelmass das natürlich schon die eigenen Interessen
begünstigt.
Festgelegt wird die Gruppenposition zudem meist von der Reihenfolge der
Reden: Je früher die Wortmeldung, desto grösser ihr Einfluss auf den Verlauf
der Diskussion. Ist die Richtung einmal vorgegeben, ist es für
Andersdenkende schwierig, den Lauf der Dinge zu ändern. Dies begünstigt auch
den Status quo, da höher Gestellte immer erst das Wort erhalten - und dazu auch
noch mehr und öfter reden. Je häufiger einer redet, desto häufiger wird er
angesprochen. Surowiecky zeigte das anhand von Versuchen mit Piloten und
Navigationsoffizieren. Erstere bekamen meist recht, da sie überzeugend
argumentierten - und ihnen die Navigationsoffiziere das Wort überliessen, auch
wenn sie recht hatten.
Menschen mit extremen Positionen sind häufig unflexibel - aber ihres eigenen
Standpunktes so sicher, dass sie andere, mit gemässigten Positionen, dazu
drängen können, diese aufzugeben. Hätten diese Leute recht, wär's ja kein
Problem, aber dummerweise haben sie das eben nicht. Eine Aufteilung von
grösseren Gruppen in kleinere kann dieses Problem beheben.
Autoritäre Führung:
Da die Weisheit der Vielen auf frei geäusserten eigenen Meinungen und
Wissen beruht, kann sie in einer autoritären Umgebung nicht zustande kommen. Der
autoritäre Entscheidungsstil verleiht den Entscheidungsträgern einen Hauch
Vollkommenheit, der die andern zu unterwürfiger Haltung verleiten soll. Da sich
die Mehrheit fügt um Ärger zu vermeiden, ist es, laut Surowiecki, erstaunlich,
dass in autokratisch geführten Betrieben überhaupt wahre Informationen zum
Vorschein kommen. [S. 274]
Dies müsste uns auch eine Mahnung sein, mit gesetzlichen Regelungen nicht
zu übertreiben, denn es gibt keine autoritärere Autorität als das Gesetz.
Normalerweise sind Gesetze ja auch sinnvoll und leider nötig, sie haben aber
eben den selben Effekt wie andere Autoritäten, und dazu noch verstärkt, da sie
einen Schatten des Bösen werfen, aus dem sich "die Guten" fernhalten. Die
möglichen Verhaltens-, oft sogar bereits Denkweisen werden also massiv
beschränkt, d.h. nun dummerweise aber auch, dass die Weisheit der Vielen dadurch
beschränkt wird. Dazu kommt dann auch noch, politisch, dass sich die so
Beschränkten gerne bei der SVP wieder finden ... was gleich auch erklärt, warum
dort alles durch Vorschriften und Autoritäten geregelt werden soll: Jede
zusätzliche Autorität und Beschränkung bringt neue Mitglieder.
Dazu kommt, dass Gesetze extrem konservativ sind, alle.
Gesetz ist Vergangenheit! Denn bis a) ein Problem erkannt, b) eine
rechtliche Lösung gefunden und diese c) über Parteiarbeit und andere Bearbeitung
der Öffentlichkeit, pardon, Konsensfindung, eine Mehrheit geschaffen ist, ist
das Problem oft schon längst weg. s.
WAP: neues
Waldprogramm.
_______________________________________________________________________________________
Das Web bietet eigentlich ideale
Bedingungen zum Philosophieren, da sich wirklich alles mit allem verknüpfen, aus
verschiedensten Perspektiven beleuchten und in unterschiedlichste Zusammenhänge
stellen lässt. [s. Webwirkung]
Falls Sie der Öffentlichkeit etwas
wichtiges mitzuteilen haben und sich nicht zu denjenigen europäischen
Intellektuellen zählen, die offenbar noch
Angst hat vor dem
Internet (Tierry Chervel,
www.perlentaucher.de), sich aber fachlich gerne beraten lassen möchten, hier
zu Brainworker's ANGEBOT:
&