Sonntag, 7. Oktober 2012

Bedauerlich: auch der studierte Philosoph Richard-David Precht ist garkein Intellektueller

Richard-David Precht zeigte gestern,ebenso wie Professor Sinn,zum
wiederholten Male kaum Mumm.Was Intellektuelle eigentlich wenigstens
schriftlich doch leisten können sollten!

" Der Intellektuelle beherrscht und betreibt die Kunst des öffentlichen Wortergreifens (prise de parole) im Namen einer universellen Verantwortung oder der Rechte des Menschen." (s. Verantwortungsethik & kognitive Dissonanz als Ausgangspunkt der Therapie )

Als Intelektuelle gehandelte Mitmenschen haben nach meiner Auffassung einfach
ausgedrückt ernsthaften Durchblick bzw. haben die ausgeprägtere Fähigkeit sich
Durchblick anzueignen.Und suchen dann mit den Jahren aus Gewissensgründen
die Konfrontation bzw. die Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen vor allem aus der Politik!

Leider ist auch Richard-David Precht u.a. nur zu sehr mitlaufendes Mitglied in der
FDP(...).
Ich habe früher auch geglaubt,studierte Philosophen seien Intellektuelle.Aber das
ist nach meiner Auffassung auf das eigentlich weitreichender erlernte Denken bezogen!
= Durch dementsprechendes Handeln müssen auch studierte Philosophen erstmal
ihr dahingehendes Intellekt beweisen.

= Vor einigen Monaten habe ich in freundlicher Art und Weise das wahrscheinlich
größte Philosophen-Netzwerk in Deutschland angeschrieben.
Die Antwort war in etwa ziemlich genau so:
Piep,piep,piep,kein Anschluss unter dieser Nummer.

Z.B. den Wirtschafts-Professor Joachim Starbatty halte ich viel eher für einen
Intelektuellen.Auch wenn ich die mit von ihm vorgenommenen Verfassungsklagen
hinsichtlich der Europäischen-Finanzpolitik,insbesondere der Krisen-
bewältigung innerhalb der Euro-Zone nicht ganz teilen kann.
= Immerhin haben einige Wirtschafts-,Finanzwissenschaftler und Experten
versucht ihrer Verantwortung gerecht zu werden.

= Währenddessen der Stammkunde vor dem Bundesverfassungsgericht,Peter
Gauweiler,als promovierter Jurist ebenso schon vor mehr als einem Jahrzehnt den
Mund hinsichtlich des Koma-Patienten Justiz hätte aufmachen müssen !!!

= Auch für Peter Gauweiler muss gelten: spätestens zur kommenden
Bundestagswahl ist gefälligst Schluss mit bezahlter Politik !!!
Mit herzlichen Grüßen Thomas Karnasch

P.S. Euro-Abwertung in Griechenland geht doch:
Das dort vorhandene Euro-Geld einsammeln und durch diesbezüglich deutlich
aufgedruckt beschrieben abgewertetem Euro-Geld ersetzen(besonders fürs
Ausland wichtig)!!!
= Was doch klar einem kalkulierbarerem Risiko im Gegensatz zur Drachme-
Einführung bedeuten würde!

= Schubladen-Professor(Ifo-Institut) Werner Sinn hat gestern wieder einmal,
ähnlich wie Peter Gauweiler behauptet,eine Euro-Abwertung würde in
Griechenland nicht funktionieren und Griechenland müsse aus der Euro-Zone ausscheiden(...).

Was sind und tun Intellektuelle? Definitionen, Voraussetzungen, Aufgaben - und

Die Weisheit der Vielen

[nach: Der kritische Blick. Über intellektuelle Tätigkeiten und Tugenden. Justus Wenzel (Hrsg.). Fischer TB. Frankfurt a.M. 2002]
  • Woran erkennt man Intellektuelle - ausser daran, dass sie gelegentlich die eigene Existenz bezweifeln?
    • Sie fragen sich, wozu sie da sind, und beklagen sich darüber, dass keiner sie braucht.
      • Sie sprechen im Namen einer kommenden, aber nie ankommenden Zukunft
        • Mit Vorliebe verdammen Intellektuelle die herrschende Meinung, die sie selbst mit produziert haben. Sie spielen den Bürgerschreck, und sind erbost, wenn sie einfach übersehen werden.
Dirk Baecker:
  • Ein Intellektueller ist jemand, der etwas gelesen hat
  • Ein Intellektueller ist jemand, der ein Problem hat. (Womit ein Problem kognitiver Dissonanz gemeint ist, s. Therapie)
Sighard Neckel:
Die Funktion von Intellektuellen ist es, die Blicke auf ausgeblendete Tatsachen zu richten.
Ein kalter Blick ist hier meist wertvoller als ein heisses Herz und ein boshafter Kommentar oft treffender als die moralische Denkschrift. (s. Zynismus & Kritik)
Anders formuliert: Intellektuelle sollen diejenigen Fragen stellen, die andern entweder nicht einfallen, die andere sich nicht trauen zu stellen ... und vor allem diejenigen Fragen, zu denen niemand eine Antwort weiss, obwohl es sich um Fragen handelt, die für die Entwicklung entscheidend sein können. Nach dieser Definition wären Intellektuelle nicht in erster Linie Vor- oder Nach-Denker, sondern Zwischen-Denker. Sie denken zwischen den Disziplinen.
Ein Intellektueller ist einer, der in eine Bibliothek geht, selbst wenn es nicht regnet.
(Andre Roussin, frz. Dramatiker, 1911-1987)
Sofsky:
  • Nicht moralischer Alarm oder empathische Kleinkunst ist die vordringliche Aufgabe des Intellektuellen, sondern ungefilterte, illusionslose Beobachtung mit wechselnden Brennweiten.
Adorno:
  • Das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, ist die Bedingung aller Wahrheit. Männer und Frauen, die diese Notwendigkeit nicht spüren, werden wahrscheinlich nicht zu den kritischen Wahrheiten über ihre eigene Gesellschaft durchdringen.
Max Weber:
  • Eine der wichtigsten Voraussetzungen des Intellektuellen ist das Augenmass, the sense of proportion, die Fähigkeit, ein gelassenes Urteil über die relative Wichtigkeit von diesem und jenem zu fällen.
Foucault:
  • Der Intellektuelle hat weder Prophet noch Vordenker zu sein - er soll zuhören, forschen und erfinden und den Organisationen unter die Arme greifen, die den "Widerstand gegen neoliberale Politik" auf ihre Fahne geschrieben haben.
Sartre:
  • Der Intellektuell ist incorruptible.
Popper:
  • Theorien sind Schweinwerfer, die Ausschnitte der Realität ins Licht rücken, und genau das ist nötig. (s. Theorie in: Komplexe Argumentation).
Dahrendorf:
  • Und am besten stört er, wenn er andern gezielt auf die Nerven geht: durch intelligentes Kritisieren.
Intellektuelle sind damit eindeutig auch Zyniker, oft Kyniker. (s. Vom Wissen das dumm, und von Dummheit die reich und bedeutend, macht.
Intellektuell leitet sich ab von Intelligenz, und dieses wiederum von intellegere, dazwischen Auswählen. Intelligente sind also Menschen, die fähig sind, die rechte Wahl zu treffen. Von dieser Herkunft des Wortes her ist der Unterschied zwischen Intelligenz, Klugheit und Weisheit leider nicht so klar, wie man ihn gern hätte. L'intelligence suprême, supreme intelligence, die höchste Intelligenz war selbst für Kant ein Synonym für Gott. Im französischen Absolutismus wurden der König und seine Minister als "L'intelligence de l'Etat" bezeichnet. Ein Ueberbleibsel davon ist der englische Ausdruck intelligence für Geheimdienste, die, wie die CIA immer wieder belegt, ja nicht immer zu den Intelligentesten gehören, sondern eben das Wissen so drechseln, dass es dem Staat dient. Die Intellektuellen waren die Gelehrten, Literaten, Gens des Lettres, Clercs, Ideologen, Gebildete, Geistesarbeiter, Genies etc. Die Intellektuellen waren aber auch für die weniger Intellektuellen, diejenigen mit den zwei linken Händen, die zu keiner praktischen Tätigkeit Fähigen,  die meist in Abstraktion verharrenden, überflüssigen, entfremdeten, aus der Gesellschaft ausgeschlossenen. Der Unterschied hat sich erst mit der Zeit herausgearbeitet, vor allem dank der geistig doch recht beschränkten Intelligenztests. Diese machten Intelligenz definitiv zur eher technischen Erkenntnisfähigkeit - während Klugheit die praktische Anwendung von Erkenntnis und Wissen unter reellen Bedingungen meint - und Weisheit die Fähigkeit, gesamtsystemisch, gestaltmässig, über ganzheitliche Aspekte zu entscheiden, und dies erst noch unter Berücksichtigung ethischer Werte.
Definition:
Intellektuell heißt verstandesmäßig, vom Verstand her; kritisch; wird oft auch für wissenschaftlich gebraucht. Zu den Intellektuellen gehören unter anderem Wissenschaftler, Schriftsteller, Menschen, die analytisch ( Analyse) befähigt und/oder geistig produktiv, schöpferisch sind. Ein Intellektueller hat oft nicht die Bereitwilligkeit oder Fähigkeit, geistiges Wissen zu vermitteln, sondern will seine schöpferische Verstandeskraft "original" zum Ausdruck bringen. Dadurch wird die Verständigung zum weniger "Gebildeten" erschwert.
Beispiele:

Voraussetzungen und Ziele

Der Intellektuelle analysiert der Gründe menschlichen Handelns (s. Orientierung), vorzugsweise durch illusionslose Betrachtung. Gesellschaftskritik kann sich auch nicht zu stark an der Machbarkeit, der politischen Umsetzbarkeit, orientieren. Sie zielt auf die Fernwirkung eines allmählich wachsenden Zweifels, auf die Umorientierung zukünftiger Prozesse, nicht (bloss) auf die momentane argumentative Überzeugung.
Nach Gumprecht erwachsen dem Intellektuellen auch neue Funktionen aus der zunehmenden, und zunehmend kleinkariert strukturierten Komplexität: Statt Fackelträger in der Nacht wären die neuen Intellektuellen Katalysatoren von Komplexität in einer stets von zu viel Struktur, von zu viel Organisation, von Negentropie eher als von Orientierungslosigkeit bedrohten Kultur.
Erste und wichtigste Bedingung des Intellektuellen ist jedoch - Die Mitwirkung an öffentlicher Debatte.
Diese ist insbesondere von Bedeutung für den Unterschied zwischen Gelehrten und diplomierten Akademikern, die sich auf ihren Auftrag berufen können. Hierin unterscheiden sie sich auch vom generellen Definition des Kopf- oder Geistesarbeiters (brainworker, s. Titelseite):s
 

Brainworker sind Intellektuelle, die gerne Bücher lesen und ev. sogar sammeln, das Gehirn kreativ nutzen um denkend Chaos zu entziffern und zu ordnen, die skeptisch und kritisch analysieren, rational argumentieren und visionär synthetisieren - kurzum, Leute die ihre Verwunderung über verschiedenste Dinge die sie interessieren freien Lauf lassen.
Jacques Derrida:
  • Der Intellektuelle beherrscht und betreibt die Kunst des öffentlichen Wortergreifens (prise de parole) im Namen einer universellen Verantwortung oder der Rechte des Menschen. (s. Verantwortungsethik & kognitive Dissonanz als Ausgangspunkt der Therapie )
Intellektuelle erhalten ihr Salär (so so sie eines erhalten ...) meist von Institutionen, die Gedanken in schriftlicher oder gesprochener Form zu reproduzieren haben. Der Intellektuelle hat etwas gelesen, sein Urteil gebildet, und muss nun dieses dem Urteil des Publikums aussetzen, das jedes Urteil mit anderen möglichen Urteilen vergleicht.
Die erste und offensichtlichste der notwendigen Tugenden eines Intellektuellen ist MUT. Mut, Mitleid und Augenmass - sind aber nicht ausreichend. Die Freiheit von Positionsinteressen, also soziale Unabhängigkeit, ist eine weitere Voraussetzung der intellektuellen Gesellschaftskritik. Die Forderung nach sozialer Unabhängigkeit wird jeden Soziologen und Psychologen zum Grinsen (oder weinen) bringen, denn sie ist, ausser für den Eremiten vielleicht, eigentlich unerfüllbar. Präzise hier liegt die Ursache, man könnte es auch Problem nennen, die Intellektuelle zu professionellen Aussenseitern macht. Dies wird verdeutlicht durch die folgenden leicht zynischen Maximen
Klaus Koch:
  1. Maxime für den Intellektuellen: Verhalte dich stets so, dass sie dir keinen Preis verleihen können, auch wenn sie es gerne täten.
  2.                 "                             Gerate nicht in eine Situation, in der Du die Hand beissen müsstest, die dich streicheln will. (= Vermeide Dankesreden)
  3. Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten ...
Der (die ist mitgemeint) Intellektuelle fordert Solidarität für die Menschheit schlechthin - nicht für ein Volk, einen Staat oder eine Klasse.

Aussenseitertum der Intellektuellen - Voraussetzung oder Folge?

Um an die Quelle zu kommen, muß man gegen den Strom schwimmen.allerdings:
Schwimmer gegen den Strom dürfen nicht erwarten, daß dieser seine Richtung ändert.
(Stanislaw Jerzy Lec, polnischer Satiriker, 1909-1966)

Warum willst du dich von uns Allen
und unserer Meinung entfernen? -
Ich schreibe nicht euch zu gefallen,
Ihr sollt was lernen.
Goethe
Die Forderung der sozialen Unabhängigkeit begründet das Aussenseitertum Intellektueller, die Distanz zur Welt, der Intellektuellen eigentlich mal ursächlich. Darüber hinaus kultivieren viele Intellektuelle natürlich das Exil, operieren an den Rändern der Gesellschaft, wurzellos - aber in jeder Metropole zu hause. Sie denken in mehreren Sprachen, sind eloquente Anwälte von Minderheiten, romantische Aussenseiter an der Peripherie der bürgerlichen Welt. Ihre Geburtsstätte und Heimat ist jedoch die Grosstadt. (Ich kenne den mit der Grossstadt, scheiss aber drauf. Im Internet finden Sie zwar 40'000 Grossstadt gegen nur 6000 Grosstadt, 70 Grosssägerei gegen nur 18 Grossägereien, aber da ich es gewohnt bin, in der Minderheit zu sein ...).
Intellektuelle verweigern die Anpassung, d.h. sie verweigern der Mehrheit der Mittelmässigkeit die Anerkennung genau so, wie diese sie ihnen verweigert. Intellektuelle haben ihr Ansehen und Gewicht ausserhalb des Wissenschaftsbetriebs eingebüsst, da Intellektualität häufig mit Dilettantismus und technischer Inkompetenz assoziiert wird.
Zudem wird ihr Blick oft durch die Milchglasscheibe der Hoffnung getrübt und sie werden romantisch statt postmodern. So ist ihr Leben oft nicht auf praktische Ziele ausgerichtet - Ihr Reich ist nicht von dieser Welt - und sie finden Befriedigung in Kunst, Wissenschaften oder metaphysischen Spekulationen, also im Besitz immaterieller Güter. Das Bestreben praktisch zu werden wird zum Quell all ihrer Niederlagen.

Intellektuelle werden um so bedeutender, je tiefer die Kluft zwischen herrschender Ideologie und Realität

Intellektuelle haben die Aufgaben der Dynamisierung der Gesellschaft, der Durchsetzung und Verteidigung des Rationalitätsprinzips, der Vermittlung eines gesellschaftlichen Selbstverständnisses, der Erzeugung einer Profankultur (womit nicht Hollywood gemeint wäre sondern eine irdische, reale, im Gegensatz zur transzendentalen, ewigen, durch die Kirche vermittelten) Kultur. Intellektuelle bleiben allerdings gefangen in der Zersplitterung des disziplinären Wissens und erreichen weder den Status handlungsorientierter Klugheit (Phronesis) noch den umfassenden Überblick und die Sicherheit im Werten, also Weisheit, die der Philosoph anstrebt.
Es ist merkwürdig, dass ein mittelmässiger Mensch oft vollkommen recht haben kann, - und doch nichts damit durchsetzt.
Christian Morgenstern
Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn, Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen.
Schiller: Demetrius
Ein Bedürfnis nach Intellektuellen entsteht immer dann, wenn den Menschen ihre eigene Zeit nicht mehr geheuer ist, wenn sich Ideologie und praktisches Leben nicht mehr decken, wenn es gilt, bessere Modelle des Selbst- und Weltverständnisses zu entwickeln. Dabei darf sich der Intellektuelle nicht einseitig auf eine Seite schlagen. Weder soll er sich dem Zeitgeist unterwerfen, noch soll er ihn in eine bestimmte Form zwängen.
Ein Intellektueller verkauft sich nicht und lässt sich von niemandem (und nichts) ausser sich selbst sagen, was er tragen, kaufen oder essen soll.
Naomi Klein: No Logo! Goldmann, Random House. 2000. S. 310
Historisch betrachtet dürften viele Intellektuelle ihre Wurzeln bei Diogenes haben, dessen Kyniker ebenfalls als Wadenbeisser und Pferdemücken den Auftrag hatten, den Arrivierten die Schwachstellen ihres Systems bewusst zu machen.
Schumpeter sagte eine Vergrösserung der Intellektuellenschicht voraus und eine soziale Radikalisierung, weil die unsichere gefährdete Berufslage - in allen Berufsgattungen - die Kapitalismuskritik verstärken würde. Er hat sich getäuscht. Weil innere Selektion dafür sorgt, dass nur noch sehr wenige Themen medial behandelt werden, die Themen immer rascher wechseln und daher kaum je vertieft werden und sich immer mehr Intellektuelle nur noch mit Fragen von tagespolitischer Relevanz befassen. Unser Zeitgeist fordert, man müsse in der Realität leben: Immer schneller, immer besser, immer weiter, immer höher ...  womit er sich eigentlich gleich selbst widerspricht, denn auf die Art ist man ja nie hier. Zu diesem modernen Geist ist noch zu bemerken, dass Modern nicht von Anfang an ein positiver Begriff war. Es bedeutet auf Lateinisch DERZEIT, und bezeichnete noch vor Jahrhunderten diejenigen, die borniert in den Grenzen ihrer tagtäglichen Umwelt agierten. Erst später wurde es zum Ehrentitel: Auf der Höhe der Zeit zu sein.
Martin Herzog, Dipl. Ing. ETH, Webdesign, Rheinfelden, 30. Juni 2004
___________________________________

Die Weisheit der Vielen

Der individuellen Form des Wissens wie es durch die meisten Intellektuellen gepflegt wird steht vor allem die "Weisheit der Vielen " (James Surowiecki: The wisdom of crowds) entgegen. Zu recht behauptet Surowiecki, dass in der Menge viel mehr Wissen vorhanden und möglich ist, als es ein einzelner erfassen kann. Dies entspricht der Volksweisheit: Vier Augen sehen mehr als zwei. Gerade daran aber kann auch das Problem sehr schön erklärt werden, denn es ist ziemlich wahrscheinlich, dass sie die zwei Träger der unterschiedlichen Augenpaare recht bald in die Haare kriegen, wer denn nun das Richtige sehe - oder wer die Sache richtig sähe. Gerade weil der einzelne gezwungen ist zur Auswahl, stellt die Gruppe ein weitaus grösseres Reservoir an Wissen dar. Er vernachlässigt aber die Mechanismen der Gruppendynamik und der Masse, die immer Einheit, oder zumindest Mehrheit will. Der Einzelne der da nicht reinpasst, wird ausgeschlossen oder still gestellt. Mehrheiten denken nicht mehr, sie wissen; nur der Einzelne ist hier wieder in der Lage, durch Kritik und Widerstand ein Umdenken anzuregen - wenn er sich Gehör verschaffen kann. Es ist also nicht die Masse, sondern diejenigen, die sich ihr entfremden, die schwarzen Schafe, die Wissen schaffen ... oder, weniger extrem, zumindest nur diejenigen, die es noch wagen, selbständig zu denken.

Das war meine Meinung. Inzwischen hab ich James Surowieckis: Die Weisheit der Vielen. [C. Bertelsmann. München 2004] gelesen, und da kommen doch eine ganze Menge interessanter Dinge hinzu. Hier also eine etwas differenziertere Darstellung:
Die Intelligenz der Vielen (Masse ist bei wiki etwas irreführend, da Massenpsychologie eben zu ganz andern Resultaten führen kann als eine Weisheit der Menge. Weisheit ist auch bei Surowiecki etwas irreführend, Intelligenz oder Wissen wäre passender, da es bei Weisheit um Werte und Wertung geht, die nicht nach Mehrheiten bestimmt werden können und dürfen und sollen und wollen. ) wurde von Francis Galton entdeckt. Er war zwar der Meinung, dass die Dummheit und Verbohrtheit vieler Männer und Frauen von unglaublichem Ausmasse sei, eine Gesellschaft also nur überlebe, wenn sie von "Auserwählten" geleitet werde. Einige Experimente brachten ihn aber zu dem erstaunlichen Resultat, dass eine Menge von unabhängigen Menschen einen Sachbestand viel präziser einschätzen kann als sogar die besten Experten. Er zeigt dies am Beispiel der Schlacht-Gewichtsschätzung eines Ochsen, die per Wette abgehalten wurde. 800 Leute versuchten ihr Glück, darunter Fachleute wie Metzger und Bauern, die hier reiche Erfahrung besassen. Die Schätzungen waren glockenförmig verteilt (Gaus-Verteilung / Normalverteilung), es gab also viele, die dem richtigen Wert nahe lagen, und zunehmend weniger mit zunehmendem Irrtum. Und nun staunte Galton, denn der Mittelwert der Schätzung betrug 1197 Pfund, das Schlachtgewicht des Tieres 1198 Pfund.
Kollektive Entscheidungen sind nur weise,
wenn sie viele verschiedenartige Informationen enthalten.
[S. 98]
Kleine Gruppen laufen insbesondere Gefahr, zu sehr auf Konsens zu setzen. [S. 240]
Neue Botschaften werden häufig umgebogen, damit sie den Inhalt der alten Botschaften bestätigen - ein besonders heikler Punkt, da gerade ausgefallene Nachrichten oft einen besonders wichtigen Informationswert besitzen. (Wenn Leute lediglich Dinge sagen (und tun), die wir von ihnen erwarten, werden sie unser Denken kaum ändern). [S. 244]
Positive Randbedingungen für eine Weisheit der Menge:
Meinungsvielfalt und -unabhängigkeit innerhalb einer Gruppe ist wichtig, weil die richtige Entscheidung eben gerade NICHT durch KONSENS gefasst wird, sondern sich durch den Ausgleich der Fehler der Einzelschätzungen ergibt. Präzise diese Qualität der Menge nutzt Google.
Einschränkende Bedingungen für eine Weisheit der Menge:
Eine Gruppe, die zu stark kommuniziert, wird zu sehr in die Richtung einzelner Experten gelenkt, und liegt dann wieder voll daneben. Kollektive Intelligenz nimmt ab mit der Grösse der Gruppe, da sich Massen leicht in Hatz setzen lassen, ist aber auch bedroht bei zu kleinen Gruppen, da diese zu Konsens tendieren.
Gruppensolidarität, Gruppenkonformität, Gruppenzwang verhindern intelligente Lösungen, die eben gerade auf dem unterschiedlichen Wissen, den unterschiedlichen Meinungen und den unterschiedlichen Interessen der Gruppe basieren.
Ein klassisches Beispiel dafür sind die Treiberameisen, bei denen einfach eine der andern folgt. So beobachtete William Beeb im Dschungel von Guyana solche Ameisen, die rund um einen Krater wanderten, 370 m, wozu sie zweieinhalb Stunden brauchten ... bis nach zwei Tagen die meisten von ihnen tot umfielen. (Erinnert ein bisschen an die heutige Situation unserer Wirtschaft: Mehr und länger und härter arbeiten für weniger Lohn - um den zu sichern. äh ... quäck ... bla.)
Als tragisches Beispiel für das Versagen einer höchst komplexen Organisation nimmt Surowiecki das Zerschellen des Raumschiffs Columbia 2003. Dass beim Start ein Stück Isolation auf die Tragfläche geknallt war, wurde beobachtet und untersucht durch ein Team zur Bewertung von Trümmerschäden (DAT). Es war auch klar, dass ein Stück von dieser Grösse beträchtliche Schäden anrichten kann, um so mehr als die Formel zur Berechnung von Schäden nicht mal auf derart grosse Stücke ausgelegt war. Es geschah aber das, was in den meisten Teams geschieht: Bereits am Anfang der Untersuchungen gab ein Experte bekannt, dass ein Stück Schaumstoff einfach keinen Schaden anrichten könne ... und dass es eh nix gäbe, was man tun könne. Was nicht stimmt, denn die NASA hatte bereits Strategien für einen solchen Fall entwickelt. Dazu kam die tendenziöse Art bei Befragungen, die aus allen Sitzungen bekannt sind: Keine weiteren Fragen? (= Lassen Sie's bloss bleiben!) In dem Fall: Also kein Flugsicherheitsproblem. Nichts, was diesen Weltraumflug in Frage stellt. Nichts was man anders machen müsste. Es geht also gut aus, oder? (Linda Ham).
Aehnlicher Group-Think herrschte auch bei der Invasion der Schweinebucht ... und beim Angriff auf den Irak.
Surowiecki nennt hier anhand der Geschworenengerichte die zwei hierzu gehörenden Typen:
  1. Die Jury orientiert sich primär am Entlastungsmaterial, stimmt nie ab ohne vorherige Diskussion, debattiert, sortiert, sucht alternative Erklärungen für den Tathergang, geht also quasi wissenschaftlich/philosophisch vor.
  2. Die Jury betrachtet es als ihre Aufgabe, möglichst schnell (und kostengünstig) zu einem Urteil zu kommen, stimmt ab ohne Diskussion, debattiert, um "Abweichler" umzustimmen.

Die MASSE, der MOB:
Ein Mob kennt die Weisheit der Menge nicht. Er denkt und handelt extrem - da er von meist wenigen "Rädelsführern" radikalisiert wird.
Es gibt also keine Weisheit der Masse im Sinne von Mob (s. Börsenblasen), sondern nur eine Weisheit der Vielen.

DIE KASKADE:
Sorowiecki nimmt als Beispiel für eine positive Entwicklung die auf einer Einzellösung basiert welche sich durchsetzte, besser durchgesetzt wurde, die Normschraube von William Sellers. Man muss heute, bei der Globalisierung, wohl kaum erklären, dass Industrialisierung, Spezialisierung und Massenproduktion ohne Normierung unmöglich wären (sollte aber dabei nicht vergessen, dass die derart gelobte Globalisierung eben auch den Stempel der Normierung trägt, die sich nicht auf Schrauben beschränkt, sondern längst den Menschen im Kern erfasst hat. (Einschulung zwecks Normierung der Sprachkenntnisse mit 3 Jahren!) Sellers setzte also bei Eisenbahn und Marine an, und setzte seinen Standard innert 10 Jahren national durch. Etwas ähnliches, auf das die meisten allerdings lieber verzichten würden, war die Durchsetzung des Betriebssystems Windows für Computer als Norm.
Präzise durch dieses Problem der Masse kann auch Google, noch mehr Wikipedia, in die Irre gehen - und tut es auch andauernd.
Surowiecki liefert so nebenbei auch noch einen Beleg dafür, dass Gerechtigkeit nicht nur ein menschliches Bedürfnis ist, sondern sich sogar bei Kapuzineraffen findet. Die Affen wurde jeweils, wenn eine(r) einen Kieselstein ablieferte, mit einer Gurkenscheibe belohnt. Kleiner Lohn für kleine Arbeit. Als aber eine Äffin statt mit Gurke mit Traube belohnt wurde, warfen die andern die Kiesel hin und schmollten.
Spezialproblem:
Zweiparteiensysteme (REGIERUNG <> OPPOSITION) sind nicht weise, sondern dämlich:
Ein Problem auf das wir immer häufiger bei Wahlen stossen, ist die Bipolarität der Meinungen, also der Schätzung. Das Abstimmungssystem ist mit ja/nein natürlich darauf angelegt - aber genau dadurch verhindert es, dass die Weisheit der Menge wahr genommen wird. Bei praktisch allen knappen Entscheiden, 51/49 und ähnlich, will die Weisheit der Menge nämlich nicht den Sieger, sondern eben präzise einen Kompromiss, der irgendwo dazwischen läge, und ausgehandelt werden müsste - es aber nicht kann, auf Grund der grassierenden Wettbewerbs- und Siegermentalität. Eine zweigeteilte Menge kann also gar nicht mehr richtig optimieren per Abstimmungsverhalten - wenn das nicht später durch die politischen Gremien geschieht ... weshalb Blocher als Verweigerer auszuschliessen war. wzbw
Nun zeigt allerdings die neuere Entwicklung (GB, Nordrhein-Westphalen Mai 2010), dass auch bei einem sich entwickelnden Multiparteiensystem der Wählerwille unter Umständen völlig ins Gegenteil verkehrt werden kann. Haben die Bürger nach Jahren einer Linksregierung genug von leeren Versprechungen und möchten es wieder mal rechts versuchen, wählen also die Tories (306 Sitze) statt Labor (258 Sitze), wonach sich allerdings die Möglichkeit bietet, dass die Liberaldemokraten (57) mit Labour eine Koalition eingeht (Koalition der Verlierer), und die Regierung übernimmt. Oder in Nordrhein-Westphalen, wo die CDU massiv abgestraft wurde aber keine Partei alleine über eine Mehrheit verfügt, ergeben sich gleich 4 mögliche Koalitionen: Grosse (linksrechts), rot-rot-grün (ganzlinks), Ampel (rot-gelb-grün: links-mitte-links) und Jamaika (schwarz-grün-gelb: rechts-links-mitte). Dummerweise fühlen sich die Linkswähler durch einen Einbezug der Dunkelroten genau so verarscht wie durch einen Einbezug von Schwarzen oder gelb). Die Trendwahl funktioniert also nur, wenn sich die grossen Blöcke nach und nach auflösen und aus einer Mehrzahl kleiner eine entsprechende Kombination entstehen kann. Allerdings haben in der Politik genau wie in der Wirtschaft (economy of scale), die Grossen halt schon andere Möglichkeiten als die Kleinen - und Kleine sind manchmal schon ein bisschen sehr einseitig, man erinnere sich etwa an die Autopartei und ähnliche Scherzprodukte. Die ideale Welt gibt es auch mit der Demokratie nicht.
Das Galton-Brett (s. Bild links) zeigt, dass bei abwechselnden und zufälligen Entscheidungen 1/- oder rechts/links eine Normalverteilung entsteht, wenn sie in Kaskaden erfolgen. Wird erst über das Endprodukt per entweder/oder entschieden, kriegen wir also eine zufällig verteilte Sammlung von Endprodukten, einmal mehr links, einmal mehr rechts (oder 4 Jahre links, dann vier Jahre rechts, was auch nicht sinnvoller ist) ... was eigentlich präzise der Eindruck ist, den unsere Politik meist erweckt.


 

Gruppenpolarisierung:
Entgegen der Erwartung, dass Beratungen rationale und gemässigte Urteile garantieren, zeigen Studien von Geschworenenjurys, dass sich die Teilgruppen hin zu extremeren Positionen bewegen. Das liegt daran, dass man seinen Standpunkt klar machen will - und dafür gerne auch etwas übertreibt, also polemisiert. Wir finden das extrem in der Politik - wo aber die Resultate eben präzise zeigen, insbesondere anhand der Ständeratswahlen, dass eben NICHT diese Extrempositionen eigentlich gewünscht sind, sondern ein faires Mittelmass das natürlich schon die eigenen Interessen begünstigt.
Festgelegt wird die Gruppenposition zudem meist von der Reihenfolge der Reden: Je früher die Wortmeldung, desto grösser ihr Einfluss auf den Verlauf der Diskussion. Ist die Richtung einmal vorgegeben, ist es für Andersdenkende schwierig, den Lauf der Dinge zu ändern. Dies begünstigt auch den Status quo, da höher Gestellte immer erst das Wort erhalten - und dazu auch noch mehr und öfter reden. Je häufiger einer redet, desto häufiger wird er angesprochen. Surowiecky zeigte das anhand von Versuchen mit Piloten und Navigationsoffizieren. Erstere bekamen meist recht, da sie überzeugend argumentierten - und ihnen die Navigationsoffiziere das Wort überliessen, auch wenn sie recht hatten.
Menschen mit extremen Positionen sind häufig unflexibel - aber ihres eigenen Standpunktes so sicher, dass sie andere, mit gemässigten Positionen, dazu drängen können, diese aufzugeben. Hätten diese Leute recht, wär's ja kein Problem, aber dummerweise haben sie das eben nicht. Eine Aufteilung von grösseren Gruppen in kleinere kann dieses Problem beheben.
Autoritäre Führung:
Da die Weisheit der Vielen auf frei geäusserten eigenen Meinungen und Wissen beruht, kann sie in einer autoritären Umgebung nicht zustande kommen. Der autoritäre Entscheidungsstil verleiht den Entscheidungsträgern einen Hauch Vollkommenheit, der die andern zu unterwürfiger Haltung verleiten soll. Da sich die Mehrheit fügt um Ärger zu vermeiden, ist es, laut Surowiecki, erstaunlich, dass in autokratisch geführten Betrieben überhaupt wahre Informationen zum Vorschein kommen. [S. 274]
Dies müsste uns auch eine Mahnung sein, mit gesetzlichen Regelungen nicht zu übertreiben, denn es gibt keine autoritärere Autorität als das Gesetz. Normalerweise sind Gesetze ja auch sinnvoll und leider nötig, sie haben aber eben den selben Effekt wie andere Autoritäten, und dazu noch verstärkt, da sie einen Schatten des Bösen werfen, aus dem sich "die Guten" fernhalten. Die möglichen Verhaltens-, oft sogar bereits Denkweisen werden also massiv beschränkt, d.h. nun dummerweise aber auch, dass die Weisheit der Vielen dadurch beschränkt wird. Dazu kommt dann auch noch, politisch, dass sich die so Beschränkten gerne bei der SVP wieder finden ... was gleich auch erklärt, warum dort alles durch Vorschriften und Autoritäten geregelt werden soll: Jede zusätzliche Autorität und Beschränkung bringt neue Mitglieder.
Dazu kommt, dass Gesetze extrem konservativ sind, alle. Gesetz ist Vergangenheit! Denn bis a) ein Problem erkannt, b) eine rechtliche Lösung gefunden und diese c) über Parteiarbeit und andere Bearbeitung der Öffentlichkeit, pardon, Konsensfindung, eine Mehrheit geschaffen ist, ist das Problem oft schon längst weg. s. WAP: neues Waldprogramm.
 _______________________________________________________________________________________

Das Web bietet eigentlich ideale Bedingungen zum Philosophieren, da sich wirklich alles mit allem verknüpfen, aus verschiedensten Perspektiven beleuchten und in unterschiedlichste Zusammenhänge stellen lässt. [s. Webwirkung]
Falls Sie der Öffentlichkeit etwas wichtiges mitzuteilen haben und sich nicht zu denjenigen europäischen Intellektuellen zählen, die offenbar noch Angst hat vor dem Internet (Tierry Chervel, www.perlentaucher.de), sich aber fachlich gerne beraten lassen möchten, hier zu Brainworker's ANGEBOT:
&